Meine Seele weiß von dir
in den kommenden Wochen viel allein sein würde.
Ich versuchte nicht zu bemerken, wie viel Spaß ihm diese Arbeit trotz allem bereitete und wie stolz er war. Meistens machte ich ihm keine Vorhaltungen, sondern riss mich zusammen; schließlich war ich damals mit dieser Entscheidung einverstanden gewesen. Mehr noch: Ich hatte ihm dazu geraten .
Anfangs tröstete mich das Ungeborene, das wir Krümel nannten, darüber hinweg, dass er so oft weg war. Doch jeden Tag ertrug ich das Alleinsein schlechter. Tagsüber, wenn ich arbeitete oder Leute um mich hatte, war es auszuhalten . Aber nachts, wenn ich erwachte, Leanders leeres Bett neben mir, tröstete es mich nicht mehr, dass ich ihn auf seinem Handy anrufen konnte. Falls er es nicht gerade zu Hause liegen lassen hatte.
Morgens war mir ständig übel. Ich sehnte mich nach dem Tag, an dem ich mich wieder ganz normal nur auf die Toilette setzen würde, statt ständig davor zu kauern. Der Anblick des Keramikbeckens von innen war mir bald ebenso vertraut wie mein blasses, mageres Gesicht. Ich verlor zusehends an Gewicht.
„Das geht vielen Schwangeren so“, klärte mich meine Frauenärztin auf. „Meistens lässt die morgendliche Übelkeit aber nach drei, vier Monaten deutlich nach oder verschwindet ganz. Und dann nehmen Sie tüchtig zu. Ich werde mir noch oft Ihre Klagen deswegen anhören.“
Sie empfahl mir, vorerst keine längeren Reisen zu unternehmen, und gab mir den Rat, morgens nach dem Aufwachen ein Stück trockenes Brot, Zwieback oder Salzstangen zu essen. „Am besten noch im Bett“, sagte sie. „Das gibt Ihrem Magen was zu tun und lindert das Unwohlsein ein wenig.“
Zu meinem Erstaunen funktionierte das.
Auch mein erhöhtes Schlafbedürfnis empfand ich als Bürde. Ich war ständig müde. Wenn ich mich irgendwo hinsetzte, um eine Verschnaufpause einzulegen, schlief ich meistens ein. Ich fragte mich, wie das erst werden sollte, wenn ich dick und rund sein würde, richtig schwanger, nicht erst in den Anfangswochen. Bei dem Gedanken, dass noch viele Monate Schwangerschaft vor mir lagen, wurde ich unruhig.
Als am schlimmsten aber empfand ich meine Dünnhäutigkeit! Nicht auszuhalten war das. Es gab Augenblicke, in denen ich ohne ersichtlichen Grund in Tränen ausbrach. Dann fielen Verzweiflung und Traurigkeit wie ein klebriges Spinnennetz über mich, wickelten mich ein und hielten mich gefangen. Ich grübelte über die Vergänglichkeit nach, das Leben, den Tod. Manchmal ging die Fantasie mit mir durch, dann sah ich mich in einem Sarg liegen, in meinem Grab, als hätte jemand einen riesigen Querschnitt von meiner Grabstelle erstellt. Und ich schaute dabei zu, wie ich verfiel.
Ich fühlte mich hässlich, ungeliebt und verlassen. Wenn ich anfing zu weinen, konnte ich nicht wieder aufhören. In solchen Momenten schlich ich ins Schlafzimmer, öffnete Leanders Kleiderschrank, schob die Kleider zur Seite und setzte mich hinein. Das war in gewisser Weise so, als wäre ich gar nicht mehr da. Selbst Frau Hischer bemerkte mich nicht, nur Herr Hischer saß manchmal leise winselnd davor. Bis sie ihn entdeckte und schimpfend am Halsband wegzerrte.
Doktor Bornfeld, der ich von den Weinattacken und Depressionen erzählte, beruhigte mich. „Das sind die Hormone, Frau Hohwacht. Auch das pendelt sich ein, Sie werden sehen : In einigen Wochen hat sich Ihr Körper beruhigt. Und Ihr Seelenleben auch.“
Sie empfahl mir außerdem, in diesem frühen Stadium der Schwangerschaft diese möglichst noch für mich zu behalten. „ Denn f alls etwas schieflaufen sollte, was ich nicht annehmen möchte, müssen Sie keine Erklärungen abgeben. Das könnte in einer derartigen Situation sehr belastend sein.“
Dafür war es zwar schon ein bisschen zu spät, da ich die Neuigkeit ja gleich herausposaunt hatte. Doch ich entschied mich zur Schadensbegrenzung und beherzigte ihren Rat. Weder meiner Mutter und Alfons, noch Ute und Tom oder Frau Hischer erzählte ich davon, obwohl ich glaubte, dass Letztere zumindest etwas ahnte.
Im Nachhinein war ich froh über den Rat – denn am 11. Februar wurden wir Eltern eines Schmetterlingskindes.
Kapitel 31
Leander fuhr bereits an den Sonntagabenden nach Berlin, damit er für die Aufnahmen am nächsten Morgen ausgeruht war.
An diesem Wochenende im Februar fühlte ich mich nicht besonders gut. Schon am Freitag musste ich Heiko anrufen, um das Laufen abzusagen. Mich plagten Kreislaufbeschwerden und Unterleibsschmerzen, als wenn ich meine
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