Meine Seele weiß von dir
Zeit schon kleiner als ich.“
Sie zeigt mir die anderen Bilder. Unsere Eltern, Cornelia und Manfred, die geschieden sind. Ich ähnele eindeutig unserer Mutter, die seit ihrer Scheidung als Sekretärin bei einer Hausverwaltung arbeitet und ungefähr 350 Kilometer von hier entfernt wohnt. Unser Vater ist Polizist. Er hat sich seit Jahren nicht sehen lassen.
„Noch nicht einmal zu deiner Hochzeit hat er sich gemeldet.“
„Und wann war das?“
„Vor drei Jahren. Im Mai.“
Ach ja! Innerlich verdrehe ich die Augen. Das gehört zu den Dingen, die sie mir schon gesagt haben. Wie meinen Namen, Adresse, Beruf und meinen Geburtstag. Der fällt auf den zwanzigsten September, womit ich im Sternzeichen der Jungfrau geboren wurde und nun auch mein Horoskop lesen kann.
Eine Schwarz-Weiß-Aufnahme von Leander sticht hervor. Er lächelt nicht. Sein Blick unter den halbgeschlossenen Lidern geht in die Ferne. Er sieht nachdenklich aus, sogar ein bisschen schwermütig, irgendwie bittersüß.
Lisa nimmt das nächste Foto: Götz und Eva-Maria Hohwacht, Leanders Eltern. Meine Schwiegereltern. „Die sind an der Oper. Als Bariton und Sopran, glaube ich, und sogar ziemlich bekannt. Ihr seid euch nicht ganz grün.“
Lehne ich sie ab? Oder ist es umgekehrt? Falls ja, weshalb? Ehe ich nachfassen kann, fährt Lisa fort mit ihren Erläuterungen. Der Mann, der lachend neben den Hohwachts steht und den ich zuerst für Leander halte, heißt Hendrik. „Er ist Leanders Cousin.“
Rick, der Beißer, denke ich.
„Rick ist ebenfalls an der Oper. Allerdings als Bühnenbildner. Sein und Leanders Vater sind eineiige Zwillinge. Vielleicht bekommst du ja eines Tages ebenfalls welche ! “ Lisa stellt das Bild wieder an seinen Platz.
Es folgt ein Schnappschuss von Ute und Tom Herzsprung-Herder. Was für ein Zungenbrechername! Ute, erfahre ich, ist meine beste Freundin. Sie hat ihren Tom erst vor rund einem Monat geheiratet. Und zwar heimlich während eines Urlaubs in Dänemark. Was ich überaus romantisch finde.
„Und das“, Lisa zeigt auf ein älteres Paar, „sind Isolde und Werner Brüning. Leanders Ersatzeltern sozusagen. Sie haben für seine Eltern gearbeitet, denn die waren ständig unterwegs. Hm, sind sie eigentlich heute noch! Die Brünings haben sich jedenfalls seinerzeit um das Haus gekümmert. Und um Leander natürlich!“
Wie auf ein Stichwort erscheint Leander.
Er nickt mir nicht unfreundlich zu, schiebt die schweren Glastüren zur Seite und geht hinaus auf die Terrasse. Hier lässt er sich mit einem Aufseufzen in einen der Rattansessel fallen.
Als ich mich in den Sessel daneben setze, stolpert mein Blick über den Pool. Das Wasser glitzert in der Sonne. Selten hat mich ein Anblick derart beunruhigt. Ich bin richtiggehend froh, dass Leander vorschlägt, etwas Kaltes zu trinken zu holen.
„Ich würde das gerne machen“, sage ich. Rasch stehe ich auf. „Um mich so schnell wie möglich wieder zurechtzufinden. Hilfst du mir, Lisa?“
„Klar.“ Sie geht voran und ich folge ihr in die Küche. Ohne zu überlegen, holt Lisa ein Tablett hervor. Sie stellt es auf den Tisch, öffnet einen Schrank, nimmt einen Krug und Gläser heraus.
„Du kennst dich gut aus.“
Sie nickt. „Sicher. Ich bin oft hier, wenn ich freihabe. Zusammen mit Klaus.“ Sie kichert zufrieden. „Deinem zukünftigen Schwager. Vielleicht! Holst du den Eistee aus dem Kühlschrank?“
Lisa erzählt, dass Klaus Pilot ist. Er arbeitet für dieselbe Fluglinie wie sie.
Ich nehme den Tee aus dem Kühlschrank, Eiswürfel aus dem Gefrierfach und fülle beides in den Krug, den ich anschließend zu den Gläsern auf das Tablett stelle.
„Was tun wir, wenn du mich besuchst?“
„Na, was man halt so macht. Wir unterhalten uns, spielen Karten und gehen spazieren oder leihen Filme aus. Bei schönem Wetter schwimmen wir. Wir kochen und grillen oft. Du und Klaus, ihr seid fleischfressende Pflanzen.“ Sie lacht. „Außerdem fahren wir häufig in die Stadt, weil du so gerne Buchläden abklapperst. Unsere Stadtbummel haben dir gefehlt, als du hergezogen bist. Anfangs warst du nicht sehr glücklich über dein“, sie setzt Anführungszeichen in die Luft, „Eremitendasein mitten in der Pampa.“
In der Pampa. Das habe ich gesagt?
Lisa erzählt mir, dass ich in den ersten Monaten, die ich hier wohnte, zwischen der Stadt und dem Dorf hin und her gependelt bin . Ich habe zunächst nicht ernsthaft daran gedacht, völlig aufs Land zu ziehen. Ödes Kaff habe ich die
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