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Meine Tiere, mein Leben

Meine Tiere, mein Leben

Titel: Meine Tiere, mein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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den Tiefen verlor.
    Nach einigen Minuten hatte ich ein Lamm samt zugehöriger Gliedmaßen beisammen, doch als ich die Beine zum Vorschein brachte, wurde der Hals ausgefahren und der Kopf fiel zurück; es passte kaum mit den Schultern zwischen den Hüftknochen hindurch, also musste ich es mit einem Finger in der Augenhöhle durchschieben. Das war entsetzlich schmerzhaft, da die Knochen meine Hand einquetschten, doch nach ein paar Sekunden strengte sich das Mutterschaf noch einmal kräftig an, und das Näschen wurde sichtbar. Das kleine Geschöpf schüttelte ruckartig den Kopf, und der Farmer wischte es rasch mit Stroh ab, bevor er es der Mutter an den Kopf legte.
    Sie beugte sich über ihn und fuhr ein paarmal blitzschnell die Zunge aus, um Hals und Gesicht abzulecken; dabei gab sie das tiefe zufriedene Glucksen von sich, das man von Schafen nur zu dieser Zeit hört. Das Glucksen wurde fortgesetzt, als ich ein weiteres Paar Lämmer hervorzauberte, eins davon mit dem Hintern zuerst. Als ich meine Arme erneut abtrocknete, sah ich, wie sie voller Freude ihre Drillinge beschnupperte.
    Bald antworteten sie mit unsteten hohen Kieksern, und als ich dankbar meine Jacke über meine frostroten Arme streifte, hievte sich Lamm Nummer eins mühevoll auf die Knie. Es schaffte es nicht bis auf die Füße und fiel auch immer wieder vornüber aufs Gesicht, wusste aber genau, wo es hinsteuerte; es hatte einzig und allein den Euter im Sinn.
    Obwohl der Wind über die Strohballen hinweg in mein Gesicht schnitt, musste ich angesichts dieses Schauspiels lächeln; dies war immer der beste Teil, das stets frische Staunen, das unerklärliche Wunder.
    Ein paar Tage später hörte ich erneut von Rob Benson. Es war ein Sonntagnachmittag, er klang angespannt, geradezu panisch.
    »Jim, ein Hund war bei den Mutterschafen. Es sind Leute mit dem Auto gekommen, um die Essenszeit, und mein Nachbar sagt, sie hätten einen Deutschen Schäferhund dabeigehabt, der die Schafe übers ganze Feld gejagt hat. Ein schreckliches Durcheinander hier, ich sag Ihnen, ich kann da gar nicht hinsehen.«
    »Bin schon unterwegs.« Ich legte auf und lief zum Wagen. Ich hatte schwere Befürchtungen, was die Situation bei Benson anging; hilflose Tiere mit durchgebissenen Kehlen, grausig zerfleischte Bäuche und Gliedmaßen. Ich kannte diesen Anblick. Die Tiere, die nicht geschlachtet zu werden brauchten, mussten genäht werden, und auf dem Weg ging ich den Bestand von Seidenfaden im Kofferraum durch.
    Die Mutterschafe waren auf dem Feld neben der Straße, und mein Herz setzte einmal kurz aus, als ich über die Mauer sah; die Arme auf die rauen losen Steine gestützt, blickte ich mit elendem Entsetzen über die Weide.
    Dies überstieg meine Befürchtungen. Die lange Grasböschung war übersät mit hingestreckten Schafen – es waren rund fünfzig Tiere, reglose Wollhaufen, die in Abständen über den grünen Boden verteilt lagen.
    Rob stand auf der anderen Seite des Gatters. Er sah mich kaum an, deutete bloß mit dem Kopf hinüber.
    »Sagen Sie mir, wie’s steht. Ich trau mich da nicht rein.«
    Ich ging zu den angeschlagenen Geschöpfen, rollte sie herum, hob ihre Beine hoch und teilte ihr Nackenfell, um sie zu untersuchen. Einige waren gänzlich bewusstlos, andere im Dämmerzustand, keines der Tiere war imstande aufzustehen. Doch je weiter ich mich vorarbeitete, desto größer wurde meine Verwirrung. Schließlich rief ich dem Farmer zu:
    »Rob, kommen Sie bitte mal her. Etwas ist hier sehr merkwürdig.«
    »Schauen Sie«, sagte ich, als Benson zögerlich näher kam.
    »Hier ist kein Tropfen Blut, keine Wunde, und doch sind alle Schafe wie gelähmt. Ich verstehe das nicht.«
    Rob beugte sich hinunter und hob sanft einen bleiernen Kopf. »Jaja, Sie haben Recht. Was zum Teufel ist es denn?«
    In dem Augenblick wusste ich keine Antwort, doch irgendwo in meinem Hinterkopf klingelte es. Etwas an dem Mutterschaf, das Rob soeben begutachtet hatte, kam mir vertraut vor. Es war eines des wenigen, die aufrecht liegen konnten, ausdruckslos und abwesend; dennoch... dieses trunkene Nicken des Kopfes, die laufende Nase... das hatte ich schon einmal gesehen. Ich kniete nieder, und als sich mein Gesicht dem des Tieres näherte, hörte ich ein schwaches Blubbern – beinahe ein Rasseln – in seinem Atem. Da fiel es mir ein.
    »Es ist Kalziummangel«, rief ich aus und rannte die Böschung zu meinem Wagen hinunter.
    Rob kam hinterhergelaufen. »Aber zum Teufel! Das kriegen die doch nach dem

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