Meine Tiere, mein Leben
als beides mit einem Schluck unverdünnten Whiskys hinunterzuspülen.
»Ich hoffe, das Radio stört Sie nicht, Mr. Herriot?«, fragte Mrs. Kirby. »Wir machen es am Weihnachtsmorgen immer an, weil wir so gern die alten Lieder hören, aber wenn Sie möchten, stell ich es ab.«
»Nein, nein, bitte lassen Sie es an, es klingt wunderschön.«
Ich blickte auf das alte Rundfunkgerät, an dem das Furnier abblätterte und sich unter der reich verzierten Laubsägearbeit fadenscheiniger Stoff spannte; es musste ein uraltes Modell sein, und es klang blechern, aber der Gesang des Kirchenchors war nichtsdestoweniger wohlklingend und rührend... Adeste Fidelis durchflutete den kleinen Raum, mischte sich mit dem Knistern der Flammen und den leisen Stimmen der beiden Alten.
Der Chor begann mit einem neuen Lied. Ich trank mein Glas aus und winkte nur schwach ab, als der Bauer erneut nach der Flasche griff. Durch das kleine Fenster sah ich die leuchtenden Beeren einer Stechpalme, die aus der Schneedecke hervorragten.
Es war wirklich ein Jammer, hier fort zu müssen, und mit einem Gefühl aufrichtigen Bedauerns leerte ich das zweite Glas und löffelte die Kuchenkrümel vom Teller.
Mr. Kirby ging mit mir hinaus; am Tor blieb er stehen und streckte die Hand aus. »Vielen Dank. Und alles Gute.«
Einen Augenblick ruhte die raue, verarbeitete Hand in der meinen, dann setzte ich mich in den Wagen und ließ den Motor an. Ich sah auf die Uhr: Es war halb zehn, und die ersten frühen Strahlen der Sonne fielen aus einem blassblauen Himmel herab auf die Erde.
Hinter dem Dorf stieg die Straße steil an und beschrieb dann einen weiten Bogen um das Tal. Dies war die Stelle, wo man plötzlich die ganze große Ebene von York vor sich hatte, die sich bis weit in die Ferne erstreckte. Ich hielt hier immer einen Augenblick an, und jedes Mal gab es etwas Neues zu entdecken, doch heute hoben sich die Felder, die Gehöfte und Wälder mit einer nie dagewesenen Deutlichkeit ab.
Vielleicht lag es daran, dass heute Feiertag war und keine Fabrikschornsteine rauchten, keine Lastwagen Rauchfahnen hinter sich ließen. In der klaren, kalten Luft wirkte alles zum Greifen nahe, und ich hatte das Gefühl, ich brauchte nur die Hand auszustrecken, dann könnte ich die vertrauten Wahrzeichen berühren.
Ich drehte mich um. Nun hatte ich die weißen Buckel und Mulden des Fells vor mir, dicht an dicht erhoben sie sich in der blauen Ferne: Jede Erdspalte war deutlich zu erkennen, und dort, wo die Sonne hintraf, glitzerten die höchsten Gipfel golden. Ich konnte das Dorf sehen und das Haus, in dem die Kirbys wohnten. Dort hatte ich Weihnachten und Frieden und Herzensgüte gefunden.
Bauern? Sie waren das Salz der Erde.
Ende - 05 - Meine Tiere, mein Leben
Quellenverzeichnis
Die folgenden Storys sind entnommen dem Band » Der Doktor und das liebe Vieh «,
Copyright © 1974 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg:
Deutsch von Friedrich A. Kloth
Herbert das Waisenlamm Tricki
Woo gibt sich die Ehre Happy
Harry die Frohnatur
Die folgende Story ist entnommen dem Band » Auf den Hund gekommen «,
Copyright © 1974/1976/1979/1982/1995 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg:
Deutsch von Helmut Kossodo
Micks Augen geht es besser
Die folgende Story ist entnommen dem Band » Der Tierarzt kommt «,
Copyright © 1979 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg:
Deutsch von Helmut Kossodo
Blossoms Heimkehr
Die folgende Story ist entnommen dem Band » Von Zweibeinern und Vierbeinern «,
Copyright © 1982 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg:
Deutsch von Ursula Bahn
Myrtle fehlt nichts
Die folgende Story ist entnommen dem Band » Ein jegliches nach seiner Art «,
Copyright © 1993 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg:
Deutsch von Silvia Morawetz
Kleine Katastrophen
Die folgende Story ist entnommen dem Band » Der Tierarzt «,
Copyright © 1976 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg:
Deutsch von Ulla H. de Herrera
Fröhliche Weihnachten
Deutsche Erstveröffentlichungen, übersetzt von Miriam Mandelkow: »Vorwort«,
Copyright © 1997 by Jim Wight, » Pferdestärke, Susie die kleine Kupplerin «,
Copyright © 1997 by The James Herriot Partnership
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