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Meine total wahren und ueberhaupt nicht peinlichen Memoiren mit genau elfeinhalb

Titel: Meine total wahren und ueberhaupt nicht peinlichen Memoiren mit genau elfeinhalb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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es nicht wissen. Das stimmt nicht. Ich wollte es schon wissen. Aber nicht so.

Vier
    Immer noch Freitag
    Als ich mich ein wenig erholt hatte, lief ich weiter, quer über die Wiese. Jeder Hund, der mir entgegenkam, bellte mich an. Die hielten mich garantiert für einen Verbrecher, der auf der Flucht war. Und ich war ja auch auf der Flucht.
    Ich hätte dableiben und alles schriftlich erklären können. Dann wäre mein Vater mit mir zu seinem Arzt gefahren, und der hätte in meinen Mund geschaut. Er hätte reingeleuchtet und nach meiner Stimme gesucht.
    Der Arzt meines Vaters heißt Doktor Alois Borkham. Mein Vater geht alle zwei Monate zu ihm, weil er glaubt, er wäre krank. »Ich bin ein Hüpochonder«, sagt er immer, »aber das nützt mir auch nichts.«
    Was dieser Satz bedeuten soll, weiß ich nicht. Ich kapiere einfach nicht, wieso es meinem Vater AUCH NICHTS NÜTZT, dass er ein Hüpochonder ist. Was ein Hüpochonder ist, habe ich kapiert, das ist jemand, der sich einbildet, dass er was hat, Grippe oder Krebs. Aber er hat gar nichts, das glaubt er bloß.
    Ein Hüpochonder hat was im Kopf, und das nützt anscheinend nichts.
    Wenn ich renne, denke ich oft so Sachen, dann renne ich noch schneller, und ich merke nicht, wie mir die Luft ausgeht.
    Ich dachte schon, ich hätte die Hunde alle abgehängt. Da tauchte in der Nähe des Radler-Kiosks ein ganzes Rudel auf, lauter zottelige, irgendwie verwirrt in der Gegend rumtorkelnde Hunde. Sie hatten alle bunte Papierschleifen um den Hals hängen. Im Fernsehen habe ich mal einen Film über Hawaii gesehen, die Leute dort trugen genau die gleichen Ketten um den Hals, bloß aus Blumen. Vielleicht hatten die Hunde Durst, wie die Erwachsenen, die im Biergarten vom Radler-Kiosk sitzen und mitten am Mittag Weißbier trinken. Kein einziger Hund bellte mich an. Sie wankten vor sich hin, und die Frauen, die auf sie aufpassten, hatten ziemlich ausgeleierte Klamotten an und tausend Ketten und Ringe an den Fingern und Armen.
    In meiner Hosentasche waren noch genau vier Euro. Die Sonne schien wie blöd. Meine Lippen waren schon ganz hart. Wenn ich mit der Zunge über meinen Gaumen strich, fühlte der sich an wie Sandpapier. Außerdem knurrte mein Magen wie ein Hund.
    Da, wo ich hinwollte, gab es Wasser und auch Beeren. Da, wo ich hinwollte, darf man nicht hin.
    An dem Holzzaun auf der Steinbrücke, die von der Wieseüber den Bach zur Vogelinsel führt, hängt ein Schild: Zutritt verboten. Wahrscheinlich soll man die Vögel in den Sträuchern und Bäumen und Büschen und Farnen nicht aufscheuchen. Das tu ich auch nicht. Ich hangele mich um den Zaun rum und trete ganz leise auf. Das ist nicht schwer, weil der Boden von Gras und Moos und Pflanzen voll ist.
    Das ist mein Versteck, die Vogelinsel im Englischen Garten.
    Ich verstecke mich unter den Sträuchern und strecke mich im Gras aus. Alles riecht nach Erde und Kräutern, und ich kriege einen grünen Geschmack auf der Zunge. Manchmal schlafe ich ein. Dann ist alles hell in meinen Träumen. Ich spaziere so vor mich hin in einer großen Ebene. Das Gehen ist wie Fliegen am Himmel. Wenn ich aufwache, bin ich jedes Mal monstermäßig glücklich.
    Das ist mein Geheimnis.
    An diesem Freitag wäre ich beinah am Zaun abgerutscht, wahrscheinlich, weil meine Hände so verschwitzt waren. Ich hing mit einem Bein über dem Bach und klammerte mich an einer der halbrunden Holzlatten fest. Keine Ahnung, wieso die abgerundet und oben spitz sind. Außer mir war noch nie jemand auf der Vogelinsel, die meisten Leute rennen da so blind vorbei wie ihre Hunde.
    Der Hund schaute zu mir hoch.
    Wo kam der Hund auf einmal her? Er war grau und struppig und hatte zwei heruntergeklappte Ohren und einenbunten Reifen um den Hals. Er glotzte mich an, als hätte er noch nie einen Jungen gesehen, der sich an einem Zaun festhält, damit er nicht ins Wasser fällt.
    Meine Hände fingen wieder an zu rutschen.
    Ich streckte mein linkes Bein nach dem Brückenteil hinter dem Zaun aus. Normalerweise ist das total einfach. Ich schwinge meinen Körper einmal rum und lass den Zaun genau in dem Moment los, wenn ich mich um hundertachtzig Grad gedreht habe. Dann lande ich zwar auf dem Steinboden, und meistens schürfe ich mir dabei den Arm auf, aber sonst passiert nichts. Obwohl ich die Schnüre meiner Chucks nie zubinde. Das macht keiner, das hat gar keinen Sinn.
    Jetzt hätte es schon Sinn gehabt. Mein linker Schuh rutschte mir vom Fuß und platschte in den Bach. Wie ein blauweißes

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