Meine Väter
sich »der Jude« Ferdinand Bronner »als Mischling I . Grades« ausgebe und daà sein Vater angeblich Nichtjude gewesen sei. Die Urkundenlage sei jedoch eindeutig. »Er möge zur Haltung einer Kennkarte verhalten werden.«
Und Mixa sandte gleich auch noch einen Brief an die NSDAP , Ortsgruppe Gatterburg in der Kreindlgasse:
»Obgenannter ist Jude und gibt sich als Mischling I . Grades aus. Seine Einsprüche gegen das Prüfungsergebnis sind unbeachtlich und zurückzuweisen. Ich bitte die MaÃnahmen gegen die Juden auf ihn auszudehnen.«
Die Nöte, in denen sein Vater sich befand, waren Arnolt Bronnen bekannt und schürten seine Ãngste.
Am Jahresende 1940 stand Bronnen vor der Entscheidung, ob er den Prozeà um seine Abstammung führen sollte: »Ich überlegte, daà es niemandem schaden, und mir nur nützen könnte« â was eine arge Verkennung der Lage für seinen Vater war. Spielte vielleicht auch die Geburt meiner Schwester Franziska im Oktober 1940 eine Rolle, sollten beide Töchter als âºreinrassige deutsche Kinderâ¹ heranwachsen?
»Ich überlegte, daà meine Mutter auf jeden Fall eine Deutsche sei. Ich überlegte, daà ich also, wer immer mein Vater wäre und welchen Stammes auch immer, die freie Wahl haben müÃte, mich zu entscheiden. Wo beginnt, wo endet die Verpflichtung der Abstammung? Wenn der Vater Schuster war, muà der Sohn dann auch Schuster werden?« Er endet diese zynischen Ãberlegungen mit einer Eloge auf die Freiheit, die hier zur Debatte stünde, die er â »nicht nur für mich allein« â zu wahren habe. Er be
schlieÃt, daà ihm selbst ein Urteil über seine Herkunft nicht zustehe.
Damit gab er es ausdrücklich an eine Wissenschaft ab, »die damals wenig klare Erkenntnisse« haben konnte, wie er wuÃte, weil »die fortschrittliche Wissenschaft vor allem jenen Rassenbegriff bekämpfen muÃte, welcher bestimmten Rassen bestimmte Privilegien einräumte. Nahm man dem Rassen-Begriff seine negativen Kriterien, die ebenso unberechtigt wie sinnlos waren«, so fand er es einleuchtend, daà das Bekenntnis zur Rasse »lediglich eine Einordnung« und »keinen Vorteil« bedeutete, so im Protokoll . Insofern liege der Fall 1940/1941 anders als 1930.
Er nutzte den rassischen Biologismus in seiner Entgleisung im nationalsozialistischen System, der die Nachkommenschaft zu einer Angelegenheit der fleischlichen Herkunft machte.
Unter diesen neuen Bedingungen wäre also jede Bindung ihres Vaters an seinen Vater, der ihn aufgezogen und genährt hat, überflüssig gewesen? Alles nur eine Frage der Leiblichkeit?
Sie empfindet das als den empfindlichsten Punkt ihrer Herkunft. WuÃte ihr Vater, was da auf seinen Vater zukam? Riskierte er sehenden Auges die Ermordung seines Vaters?
Sie kann das nicht glauben.
Juristisch war ihr Vater durchaus beschlagen.
Er muà etwas in der Hinterhand gehabt haben.
Marthas zweiter Brief an ihren Sohn, unterzeichnet vom Notar â also muÃte der Notar ihren Brief bestätigen? â, beginnt mit der Begründung, sie schreibe noch einmal, denn »damals war ich ziemlich aufgeregt und schrieb mit einer undeutlichen Handschrift, vieles dürfte Dir nicht ganz klar gewesen sein, und so will ich heute versuchen,
noch mal alles zu schildern«, um so mehr, als »das Sprechen uns beiden schwer« wird, »und ehe es zu spät sein könnte, möchte ich mir doch alles vom Herzen reden«. Sie schildert abermals den Qualenweg durch den Wald, die teuflische Ermüdung, den tragischen Zwist zwischen Ferdinand und ihr, da sie nicht zur Stelle gewesen sei, als er ankam, die Güte der Frau Schmidt, dieser kränklichen, zarten Frau, die sie tröstend in den Arm genommen hätte, und wie der unheilvolle Herr Schmidt über die süà Schlafende kam.
Eine durchgestrichene Seite ist beigefügt. Sie möchte »nur noch hinzufügen, daà es doch eine sehr schwierige Sache für Dich ist, Ahnen für Dein Kind zu finden, werden nun die Schmidts anerkannt? Du bist doch in der Ehe geboren, und leider war die ganze Sache bös, unwahrscheinlich, wie der Detectiv sagt. Ich kann ihm nicht ganz unrecht geben, selbst Papa wollte es mir nicht glauben, er hat durch Jahre geglaubt, daà wir diesen Ausflug dazu benutzten, jetzt glaubt er es schon längst. SchlieÃlich war es nur die Eifersucht, daà er
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