Meine Väter
mich so empfing und die Enttäuschung und seine Nerven, unter denen ich Jahrelang gelitten habe, doch nun darüber SchluÃ.«
Der Brief enthält im Gegensatz zum ersten noch eine weitere Wendung. Demnach seien einige Wochen vergangen, in denen sie Ferdinand nur »anpfauchte«, »bis ich es nicht mehr ertrug und ihm alles sagte, umso mehr, als ich einen Grund hatte zu glauben, daà diese Nacht Folgen gehabt hatte«. Sie sei erst »zugänglicher« gegenüber Ferdinand geworden, als sie eine »mir unangenehme Entdeckung machte«.
Was sie daraufhin gelitten habe, hätte Arnolt in seiner Kindheit erlebt, »ich konnte mich nicht wehren, da ich ja schlieÃlich die Schuldige war«.
Wenigstens sei ihre Sorge, »ein schwarzes Kind zu bekommen«, unberechtigt gewesen, und Ferdinand habe sich »mustergiltig« benommen; sie wäre glücklich, wenn Arnolt endlich einsehen würde, daà er recht hatte, »oft ekelhaft zu mir zu sein«.
Fazit der Geschichte: Arnolt jedenfalls habe allen Grund, sich als Christ zu fühlen, weil er es sei.
Marthas Verführung, ein abstruser vorehelicher Akt des 19. Jahrhunderts. Dennoch fällt es ihr schwer, sich diese beengte und unromantische Szene vorzustellen, die jeden Augenblick durch Frau Schmidt hätte gestört werden können.
Dem Durchschlag des Briefes lag Marthas eidesstattliche Erklärung bei. In einem Nachsatz schrieb sie: »Ist das alles nur Bestimmung, daà gerade Du ein reiner Arier werden solltest!« Und: »Papa will nicht der Gehörnte sein. Drum bat ich Dich, nur im Ernstfalle davon Gebrauch zu machen. Jetzt sind wir ein Volk, ein Reich, und was in Berlin vorgeht, weià man hier, Papa wird sich nicht der Wahrheit entziehen ⦠aber angenehm ist es nicht.«
Ãber Pfarrer Schmidt, den Erzeuger ihres Sohnes, sagt sie: »Was Deinen Vater anbelangt, muà ich nur sagen, daà er mir so gleichgültig und langweilig war, wie jeder Fremder, und ich glaube, auch ich ihm.« Ansonsten weià sie, die als wiÃbegierig und anderen Menschen gegenüber aufgeschlossen galt, nur Belangloses über den neuen Vater zu berichten: »Ich weià nur zufällig, daà er am 11. Oktober geboren ist, und wahrscheinlich im 67 oder 68 Jahr höchstwahrscheinlich in Bielitz, wo sein Vater Eisenbahner war.«
All das will ihr nicht in das Bild passen. Keine Spur mehr von ihrer gerühmten Redlichkeit, und sie fragt sich: War
um verstellt sich Martha? Würde eine gebildete Frau solch einfältige Briefe schreiben?
Geht sie zu weit, wenn sie dem Gedanken folgt, daà nicht Martha es gewesen war, der der Inhalt dieser Briefe eingefallen sei? Hat der Sohn seine Mutter dazu angehalten, diese Briefe so und nicht anders zu schreiben (oder schreiben zu lassen, da Martha infolge ihrer Erblindung kaum dazu imstande gewesen sein dürfte)?
Wenn es so gewesen wäre, hätte er dann nicht auch wissen müssen, daà er seine Mutter mit ins Verderben riÃ, sollte die Lüge offenbar werden?
Für niemanden sonst findet Bronnen im Protokoll so warme Worte wie für seine Mutter: Heimat ist sie, Beständigkeit, Geborgenheit, Ruhe, Klarheit der Gedanken, alle Liebe und Zärtlichkeit dieser Welt: »Worin lag das Geheimnis ihrer Sicherheit? (â¦) Es lag darin, daà sie die Kontinuität ihres Lebens nie verloren hatte. Es lag ferner darin, daà sie die Fäden, die sie mit der Welt verbunden hatten, nie zerrissen hatte« â in Wirklichkeit hatte sie diese Fäden mit dem nie widerrufenen Geständnis ihrer Untreue gründlich zerrissen. Hat der Protokoll- Schreiber das verdrängt und vergessen?
Sie sucht Antworten auf immer neue Fragen, mit denen sie nie gerechnet hat, während ihr MiÃtrauen in die Aussagen ihres Vaters wächst.
Diese Martha Bronner war ganz sicher kein »überirdisches Wesen«, vollkommen in ihrer Weisheit und Güte, wie ihr Sohn sie hochstilisiert.
Vier Kinder hat sie zur Welt gebracht und groÃgezogen. Den Sohn Rudolf verlor sie im Ersten Weltkrieg. Zu ihrer Tochter Ellida, diesem reizvollen, springlebendigen Mädchen, und dem gutmütigen und ausgeglichenen Günther hatte sie wohl keinen sehr engen Bezug. Ihr blieb ihr
Ãltester, Arnold, die Zangengeburt. Der als Kind kränkliche, sensible Junge suchte bei ihr Wärme, Geborgenheit, Schutz und jene Zärtlichkeit, die ihm â und auch ihr â Ferdinand Bronner
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