Meine Wut ist jung
schützen. Das ist verdrängt, das ist sicher teilweise vergessen worden. Wir haben die Juden ausgegrenzt bis zur Vernichtung. Das hat es in Frankreich nicht gegeben und nicht in anderen europäischen Ländern. Aber wir haben bisher keine Partei, die diesen Fremdenhass so instrumentalisiert und so erfolgreich ist, wie etwa Le Pen in Frankreich mit seinem Front National. In den Niederlanden hat die Rechte zeitweise sogar mitregiert. Doch es gibt auch bei uns immer wieder Anfechtungen, auf diesen Zug aufzuspringen. Denken wir nur an den von Fremdenfeindlichkeit geprägten CDU-Wahlkampf in Hessen. Auch in der Europadebatte stecken jetzt plötzlich wieder nationalstaatliche Töne, die mir nicht gefallen.
Sie sind Anfang der 1950er-Jahre gegen die alten braunen Netzwerke in der NRW-FDP aktiv geworden. Jetzt, viele Jahrzehnte später, ist dieses Gedankengut immer noch Thema in unserer Gesellschaft. Warum kriegt man es nicht aus den Köpfen?
Ein schwieriges Feld. Nehmen wir mal die NPD, die ja heute für dieses Gedankengut steht und das rechtsextreme Feld abdeckt. Immerhin eine Partei, die auch in Parlamente gewählt wird und Wahlkampfunterstützung bekommt. Eigentlich unfassbar für eine liberale Demokratie. Doch aus meiner Sicht wäre es eine Kurzschlussentscheidung zu hoffen, durch ein Parteienverbot könne man dem Phänomen des Rechtsextremismus entscheidend zu Leibe rücken. Besonders gefährlich sind die rechtsextremistischen Milieus, die in einigen Teilen unseres Landes in die Gesellschaft eingedrungen sind - beispielsweise in der Sächsischen Schweiz oder in Teilen von Pommern und Brandenburg. Ganze Ortschaften sind durch Rechtsextremisten geprägt. Die Demokraten sind in der Defensive, es wird systematisch Angst verbreitet. In solchen ländlichen Regionen haben Menschen sogar Angst, sich zur Demokratie zu bekennen. Das ist nicht nur schlimm, es ist unerträglich. Wir sind als Demokraten aufgefordert, mehr zu tun. Wir dürfen orientierungslose Menschen nicht der NPD überlassen. Das habe ich kürzlich in meiner Heimatstadt Dresden, die ja immer wieder von rechtsradikalen Demonstranten heimgesucht wird, unter Beifall in einer »Dresdner Rede« zum Ausdruck gebracht. Wir müssen uns mehr um die »Verlierer« in unserer Gesellschaft kümmern. Es kann nicht sein, dass die NPD diese Aufgabe übernimmt.
Aber welcher Weg führt aus den Armen der Rechtsradikalen?
Als Rechtsextremist und als Ausländerfeind wird man ja nicht geboren. Darin liegt die Chance einer offenen, liberalen Gesellschaft. Ich möchte ein Beispiel nennen: Ich erhalte in diesem Jahr den Preis der Arnold Freymuth-Gesellschaft, die sich in besonderer Weise gegen Fremdenfeindlichkeit engagiert. Neben mir ist einer der besten Kenner der rechtsextremistischen Szene der früheren DDR Preisträger, der Kriminalist Bernd Wagner. Er hat vor einigen Jahren sein erfolgreiches Nazi-Aussteigerprogramm Exit ins Leben gerufen. Das ist ein richtiger Weg.
»In jedem von uns steckt kreatives Potenzial, das gefördert werden muss«
Lebendige Kultur als gesellschaftliche Aufgabe
Sie haben des Öfteren über den Stellenwert der Kultur in unserer Gesellschaft gesprochen und vertreten die Meinung, dass die Kultur notwendig ist für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft.
Ich möchte zunächst einmal sagen, was Kultur für mich persönlich bedeutet, für mein eigenes Leben. Sie war und ist unverzichtbar in allen ihren Bereichen. Von der Literatur über die bildende Kunst, die Musik bis zu Theater und Film. Ich bin ein ungemein kulturinteressierter Mensch und könnte mir ein Leben ohne Kultur überhaupt nicht vorstellen. Die Kultur hat mich bereichert, hat mich beglückt, manchmal auch abgestoßen und verstört. Kulturinteressiert zu sein, heißt für mich, neugierig zu sein, auch neugierig auf das, was Zeitgenossen schaffen. Nicht nur in der etablierten Kultur verharren - obwohl die Aufführung einer Bach-Passion mich immer wieder tief berührt -, sondern auch das wahrzunehmen, was neu entsteht und im ersten Moment vielleicht fremd erscheint. Das gilt ganz besonders für die zeitgenössische Musik, der ich mich in den letzten Jahrzehnten geöffnet habe und die mein Leben nun ungemein bereichert. So bin ich zum Beispiel seit vielen Jahren regelmäßig Gast der Donaueschinger Musiktage. Ich besuche Konzerte in vielen Städten, vor allem aber in Köln und Berlin. Ich kann nur schwer begreifen, dass Menschen, die sonst offen sind für alles, was die Gesellschaft
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