Meine Wut ist jung
saß, wurde miterfasst, weil er ja dazugehören könnte. Dieses nannte sich damals »beobachtende Fahnung«. Die sicherheitspolitische Aufrüstung hat sich von da an schleichend in unsere Gesellschaft eingefressen. Das Prinzip der inneren Sicherheit hat sich verselbstständigt bis hin zu der Behauptung, wir hätten ein Grundrecht auf Innere Sicherheit. Das haben wir natürlich nicht.
Alles, was wir tun, muss in Bezug gesetzt werden zur Freiheit. Bei der Abwägung zwischen Sicherheit und Freiheit muss letztere der Maßstab bleiben. Der Staat hat natürlich nach besten Kräften für die Sicherheit der Bürger zu sorgen. Aber nicht alles, was den Sicherheitsbehörden dienlich ist, darf geschehen. Der Zweck heiligt eben nicht alle Mittel, zum Beispiel nicht die Folter! Die später von mir mit erstrittenen Urteile des Bundesverfassungsgerichts zeigen die Grenzen auf, bis zu denen der Staat gehen darf. Dass die Bürger diese Sicherheitsmaßnahmen weithin klaglos akzeptieren, hängt mit mangelnder Risikobereitschaft des Einzelnen zusammen. Viele Politiker haben den Bürgern vorgegaukelt, dass man diese Risiken minimieren oder gar vermeiden könnte. Man müsse sie dazu nur wählen! Das Schwierige in solchen Situationen ist, die Angst zu bekämpfen, die die Menschen blind macht, und ihnen vor Augen zu führen, dass bestimmte Risiken zwar zu vermindern, aber nicht zu beseitigen sind. Der Umgang mit dem Risiko ist entscheidend für die Lebendigkeit einer Demokratie, entscheidend für Freiheit und Menschenwürde. »Nur derjenige ist wirklich frei, der auch Unsicherheit in Kauf nimmt« - das ist die bleibende Botschaft, die der Sozialpsychologe Erich Fromm uns in seinem Buch »Die Furcht vor der Freiheit« vermittelt.
In der Rückschau geben Sie sich als Kritiker. Trugen Sie selbst nicht die Maßnahmen mit?
Um keinen falschen Eindruck zu erwecken, muss festgestellt werden, dass ein Teil der Gesetzesänderungen damals unumgänglich waren - zum Beispiel in Hinsicht auf das bis dahin völlig ungewohnte Verhalten von RAF-Angeklagten vor Gericht. Andere Maßnahmen waren wiederum sehr problematisch - etwa das sogenannte Kontaktsperregesetz, durch das Inhaftierte von der Außenwelt praktisch abgeschnitten wurden. Ich hatte diesem Gesetz zugestimmt. Ich war eingebunden in die Disziplin einer Regierung. Unser Nachgeben in anderen Fällen ist auch dadurch zu erklären, dass uns die Opposition durch ständige Angriffe in die Defensive zu bringen suchte. Insgesamt habe ich aber gegen die sicherheitspolitische Aufrüstung bis heute immer wieder opponiert.
Wie erklären Sie sich, dass sich die Kunst mit diesem Thema noch Jahre später auseinandergesetzt hat?
Ein weiteres Signal, dass diese Wunde bis heute noch nicht verheilt ist. Abzulesen ist das zum Beispiel an der RAF-Ausstellung, die im Jahre 2005 in den »Kunstwerken«, Berlin, stattfand. Ich selbst habe die Ausstellung nachdrücklich gefördert. Ein vorzüglicher zweibändiger Katalog zu dieser Ausstellung gibt einen umfassenden Überblick darüber, was in der bildenden Kunst als bis heute nachwirkende Reaktion auf die RAF geschah. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang auch der berühmte Baader-Meinhof-Zyklus von Gerhard Richter - heute im Besitz des Museums of Modern Art in New York. Nicht nur die bildende Kunst, sondern auch zahlreiche Filme und auch literarische Werke haben sich diesem Thema angenähert. Nicht zu vergessen das Musiktheater meines Freundes Helmut Lachenmann »Das Mädchen mit den Schwefelhölzern«, komponiert in den 1990er-Jahren, u.a. nach Texten von Gudrun Ensslin.
Haben wir denn aus dem Umgang mit dem RAF-Terrorismus gelernt?
Die Sicherheitsgesetze nach dem 11. September sprechen dagegen. Diese ermöglichen weitreichende Eingriffe in die Privatheit unverdächtiger Bürger. Sie orientieren sich an den Sicherheitsvorstellungen der USA. Die Frage ist, wie die Bevölkerung in Deutschland heute auf einen terroristischen Anschlag reagieren würde. Ich hoffe, dass wir mit solchen Herausforderungen heute souveräner umgingen. Vielleicht eine Hoffnung, die sich nicht erfüllt, wenn morgen eine Bombe etwa in einem Bahnhof explodieren würde.
Ich hoffe jedenfalls, dass es Lernprozesse gibt. Dazu hat auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beigetragen. Wolfgang Schäuble war der Letzte, der noch die alte Sicherheitsphilosophie pur vertreten hat. Von ihm kamen schon harte Töne. Sein Nachfolger, Thomas de Maizière, war ein ganz anderer Innenminister, der
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