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Meineid

Meineid

Titel: Meineid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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der Zeit bereits eine Lehre. Nicht in der väterlichen Werkstatt, aber er sollte eines Tages das Geschäft übernehmen. Und wenn er  sich nicht so benahm, wie Herr Damner sich das wünschte, dann klatschte es schon mal. Auch sonst wurde Joachim eine Menge abverlangt. Er musste seinen Lohn abliefern und bekam ein bescheidenes Taschengeld. Greta hatte ihn in dem Sommer, bevor Tess diese beiden Sätze in ihr Heft schrieb, unzählige Male bei Frau Damner um ein paar Mark zusätzlich betteln hören, weil er sonntags mit seiner Freundin ins Kino oder in eine Eisdiele gehen wollte. Frau Damner hätte ihm wohl gerne etwas gegeben, aber entweder konnte oder durfte sie nicht. Sie schickte Joachim zum Vater, und da hieß es meist:
    «Was hast du dir denn fürs Taschengeld gekauft? Zigaretten? Wenn ich dich mal mit einer erwische, dann gnade dir Gott.»
    Joachim versicherte auf der Stelle, dass er nicht rauche. Und Herr Damner fuhr fort:
    «Wenn du vernünftig bist! Aber trotzdem! Du musst dir dein Geld besser einteilen. Jeder muss lernen, mit Geld umzugehen. Wer es früh nicht lernt, kann es später gar nicht.»
    Dann kam Tess in die Werkstatt, erwähnte beiläufig, dass es draußen furchtbar warm und sie entsetzlich hungrig sei. Und schon wurde die vorletzte Mark aus der Hosentasche gefischt.
    «Magst du ein Eis, Tessi? Bis zum Abendessen dauert es ja noch. Und was ist mir dir, Greta? Magst du auch ein Eis?»
    So war das bei Familie Damner, für Greta gab es die letzte Mark aus der Hosentasche. Dann liefen sie zu dem kleinen Lebensmittelladen nur ein paar Häuser weiter. Dort gab es Eis am Stiel. Greta kaufte sich ein Vanilleeis mit hauchdünnem Schokoladenüberzug, es kostete dreißig Pfennig. Tess kaufte sich für ihre Mark eine Tafel Schokolade, weil sie von einem so kleinen Eis nicht satt wurde. Sie setzten sich auf die Stange vor dem Schaufenster in die Sonne. Greta aß ihr Eis, Tess ihre Schokolade. Danach klagte sie über Durst und fragte, was Greta mit den verbliebenen siebzig Pfennig tun wolle.
    «Kaufen wir uns dafür eine Limo?»
    Als Gegenleistung für Gretas Opfer versprach Tess, ihr etwas zu erzählen, was sie noch keinem Menschen anvertraut hatte. Also gingen sie zurück in den Laden und kauften eine Zitronenlimonade, die nie richtig kalt war, weil die Kästen unter dem Schaufenster standen. Aber die Flaschen hatten einen Schraubverschluss. Sie konnten sie ohne Hilfe öffnen, setzten sich draußen wieder auf die Stange. Und während sie abwechselnd aus der Flasche tranken, vertraute Tess Greta ein Geheimnis an.
    «Du darfst es aber keinem weitersagen, versprich mir das.»
    Anfangs waren es Geschichten, über die jeder Erwachsene geschmunzelt hätte. Mal hatte ein Adler Tess verfolgt, nachdem sie Greta heimgebracht hatte. Sie brachte Greta jeden Abend heim. Wenn sie vor Gretas elterlicher Wohnung angekommen waren, brachte Greta Tess heim. Meist ging es vier-, fünfmal hin und her. Und regelmäßig, wenn Tess den letzten Weg alleine gemacht hatte, waren die unglaublichsten Sachen passiert. Der Adler! Oder ein Gespenst, das sich erst in Luft auflöste, als Tess drohte, ihren Vater und ihren großen Bruder zu rufen. Einmal war es ein Löwe, der aus dem Zoo ausgebrochen sein musste und Tess beinahe gefressen hätte. Als bei Greta die ersten Zweifel erwachten, kamen alte Frauen mit stechendem Blick und Warzen im Gesicht, die Tess ein schwarzes Kätzchen schenken wollten, wenn sie mitging. Und später waren es fremde Männer, die Tess nach dem Weg fragten und sie mit einer Belohnung in ihre Autos locken wollten. Spätestens da wäre auch ein Erwachsener zusammengezuckt. Doch bis zu den beiden Sätzen im Religionsheft waren es nur Fremde gewesen, die Tess an Leib und Leben bedrohten. Die Sache sorgte für erheblichen Wirbel. Noch während der Unterrichtsstunde wurde Tess nach vorne gerufen. Die Lehrerin flüsterte mit ihr. Tess begann zu weinen, warf Greta Hilfe suchende Blicke zu und beteuerte:
    «Ich wollte das nicht schreiben. Ich weiß gar nicht, wie es gekommen ist. Erzählen Sie es bitte nicht meinem Vati.»
    Nun war die Lehrerin eine verantwortungsbewusste Frau. Die unter Tränen vorgetragene Bitte bestärkte sie in der Ansicht, dass Tess misshandelt wurde und sich aus Furcht vor weiteren Schlägen nicht zur Wahrheit bekennen mochte. Die Lehrerin hielt es für ihre Pflicht, die Sache zu klären. Zuerst führte sie ein Gespräch mit dem grausamen Vater. Der arme Herr Damner muss aus allen Wolken gefallen sein.

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