Meinen Sohn bekommt ihr nie
Israel
Dezember 2010
Ich habe gewonnen. Ich habe das Recht gewonnen, meinen kleinen Jungen bei mir aufwachsen zu sehen â ganz ohne vorgeschriebene Denkweisen. Ich habe das Recht gewonnen, mein Leben nach meinen Vorstellungen zu gestalten und selbst zu bestimmen, wo ich es leben möchte. Ich habe mich nicht einschüchtern oder entmutigen lassen. Ich werde nicht ins Gefängnis kommen. Doch dieser Sieg, der auf der Website der GroÃen Kammer nachzulesen ist, ist nur dann ein Sieg, wenn er auch etwas bewegt, wenn Staaten und Gerichte von nun an die Bedürfnisse der Kinder in den Mittelpunkt ihrer Debatten stellen, vor alle anderen Interessen.
Ich wünsche mir von Herzen, dass sich in Israel im Frauen- und im Familienrecht etwas verändert. Es gibt dort zu viele Frauen, die wie ich eingewandert sind und mit ihren minderjährigen Kindern gegen ihren Willen festgehalten werden. Ihre Verzweiflung, nicht in ihre Heimat zurückkehren, ja nicht einmal ihre Familien im Ausland besuchen zu können, ist groÃ. Doch niemand spricht darüber.
In diesem demokratischen, mitunter höchst widersprüchlichen Land schützt man sich vor dem islamischen Fundamentalismus, während man die Augen vor dem Fundamentalismus der ultraorthodoxen Juden verschlieÃt. Man übersieht geflissentlich, dass die Ultras auf dem Vormarsch sind. Man schweigt über ihre sektenähnlichen Methoden oder belächelt sie milde, wie in der Fernsehserie, die mein Exmann und ich uns anschauten. Und doch gibt es jedes Jahr Dutzende, Hunderte, vielleicht sogar Tausende Shais, die, zum Leidwesen ihrer Familie, eine Wandlung vollziehen. Es sind Männer, die, wie Caroline Fourest in ihrem Buch Tirs Croisés beschreibt, ihren Tag mit einem Gebet beginnen, dessen erster Vers lautet: «Gelobt sei Gott, weil er mich nicht als Frau erschuf.» Und vergessen wir nicht, dass einzig den Männern das Recht vorbehalten bleibt, heilige Texte auszulegen, in denen es um die Rechte der Frauen gehtâ¦
Die Ehefrau eines ultrareligiösen Mannes hat keinerlei Rechte auÃer dem, eine gute Ehefrau und Mutter zu sein. Und sollte sie ihn in ihrem Glauben gar übertreffen und das Lesen der Thora eifriger betreiben als er, wird sie selbst daran gehindert, denn es heiÃt, dass eine Frau die heiligen Texte nicht zu lernen habe. Vielleicht erinnern Sie sich an den Film Yentl mit Barbra Streisand, über eine Frau, die sich als Mann verkleidet, um den Talmud studieren und Rabbiner werden zu können? Das ist keine Fiktion.
Wenn sich heute die Verhältnisse in einer jüdischen Familie, egal, ob säkular oder traditionell, verschlechtern, kann nur der Ehemann die Scheidung, den Get, gewähren. Meine Freunde trauten ihren Ohren nicht, als ich ihnen von meinen Erlebnissen auf dem Rabbinatsgericht, von der rituellen VerstoÃung, den Rückwärtsschritten, erzählte. Ich werde nie erfahren, warum mir mein Ehemann doch noch den Scheidebrief gab, doch ich weiÃ, dass es auf der ganzen Welt, in Kanada, in der Schweiz, in den Vereinigten Staaten, in Belgien, in Frankreich und vor allem in Israel, zahlreiche Frauen gibt, die lebenslang an einen Mann gebunden sind, den sie nicht mehr lieben. Sie können nicht wieder heiraten, kein normales Leben führen, keinen neuen Haushalt gründen. Und falls sie von einem anderen Mann weitere Kinder bekommen, werden diese als Bastarde betrachtet, die von religiösen Autoritäten nicht die Papiere erhalten, die für eine Heirat in Israel nötig sind â all dies, weil der Ehemann den Get verweigerte. Wie viele sind es, die sich die Scheidung «erkaufen», um sich endlich aus ihrer Lage zu befreien, oder die sie «gütlich» aushandeln, sprich im Gegenzug auf ihre Errungenschaften wie Unterhaltszahlungen oder das Recht, im Haus der Familie zu bleiben, verzichten?
Seit Jahren bemühen sich Organisationen, die jüdische Ãffentlichkeit für die Probleme der Agunot (wörtlich: Frauen, die an einen Mann gekettet sind, der ihnen die Scheidung verwehrt) zu sensibilisieren. Sie bieten rechtliche Beratung, veranstalten Demonstrationen und betreiben Lobbyarbeit in der Knesset. Eines ihrer zentralen Anliegen ist, dass junge Eheleute vor ihrer Heirat einen Vertrag abschlieÃen, weil jüdische Frauen weder hier noch dort über die rein religiösen Scheidungsmodalitäten aufgeklärt werden.
So ist die Lage. Und sie ist gewollt.
In Frankreich
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