Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
Uniformschneider Wormser schwadronieren: »Der Doktor ist die Visitenkarte, der Reserveoffizier ist die offene Tür, das is mal so.«
Bürgersöhne, die studierten und genügend Geld mitbrachten, verschafften sich das Entrée in die höheren Kreise über die »richtigen« schlagenden Verbindungen. Alternativ zur Offiziers-Ausbildung besorgten die auf ihren Paukböden jene Ehrenkodex-Erziehung, die unerläßlich war für die Zugehörigkeit zur Oberschicht in der wilhelminischen Gesellschaft. Sie machte den Couleur-Studenten den Weg frei in die kaiserliche Verwaltungs- oder Universitätshierarchie. Kurt konnte nicht studieren, weil er in der Firma gebraucht wurde, und so erfolgreich er war, hätte er in der strenggegliederten Gesellschaft des Kaiserreichs noch nicht mal in der zweiten Liga mitspielen können, wäre er nicht Reserve-Offizier in einem renommierten Regiment geworden.
Das war zu Louis’ und zu Gustavs Zeiten noch nicht nötig. Das städtische Bürgertum in Preußen war stark und selbstbewußt, sein politischer Einfluß durch das Dreiklassenwahlrecht komfortabel abgesichert und die Abgrenzung zum Adel durchaus wechselseitig. Aber in der wachsenden Macht der Industriearbeiterschaft im Kaiserreich entstand eine neue Front, die von Bismarck ständig beschworene »rote Gefahr«, vor der große Teile des gehobenen Bürgertums sich furchtsam an die Seite des Adels drängelten. Die Großbürger »verjunkerten«, wie die Opposition das hämisch kommentierte.
Der Einlaßcode in die höheren Kreise hieß Satisfaktionsfähigkeit. Sich zu duellieren, war zwar verboten im kaiserlichen Deutschland, aber die Staatsgewalt drückte beide Augen zu. Schließlich gehörten ihre Vertreter ebenfalls zur satisfaktionsfähigen Gesellschaft und hatten keine Lust, ihre Vorrangstellung in Frage zu stellen. Es kam nur darauf an, daß die Heimlichkeit gewahrt wurde. Blieb einer der Kontrahenten auf der Strecke, fand sich immer ein – satisfaktionsfähiger – Arzt, der einen natürlichen Tod bescheinigte, und der Überlebende verschwand für eine Weile im Ausland, bis Gras über die Sache gewachsen war.
Ich kann mir Kurt schwer vorstellen, wie er im Frühnebel in den Harz kutschiert, um sich mit irgendeinem anhaltinischen Gutslümmel eine Schießerei zu liefern. Die diesbezügliche Gefährdung war vermutlich in Halberstadt nicht groß, und darauf kam es auch nicht an. Es kam an auf einen Platz auf der richtigen Seite der Scheidelinie zwischen Spreu und Weizen in der wilhelminischen Gesellschaft, wo die Oberschicht sich abgeschottet hatte. Dazu gehörten die Adeligen, bürgerliche Offiziere in »anständigen« Regimentern, höhere Staatsbeamte, Akademiker, sofern sie Alte Herren schlagender Verbindungen waren. Alle diese Personen galten als satisfaktionsfähig.
Kaufleute wie Juden, wie reich sie immer sein mochten, waren es nicht. Ohnehin galt nur geerbtes oder angeheiratetes Geld als standesgemäß. Durch Arbeit erworbenes Vermögen zählte nicht. Kurt hatte sowohl als auch und nicht zu knapp, doch umging er dieses an sich erfreuliche Handicap in hautengen weißen Hosen und hohen Stiefeln, mit Säbel, Schärpen und Troddeln, mit der silbernen Pickelhaube auf dem Kopf und sich häufenden Auszeichnungen an der Brust. Später wird die Beförderung zum Rittmeister vom Kaiser höchstselbst unterschrieben.
Geheiratet haben Kurt und Gertrud am 9. Oktober 1897. Da ist er 25, sie 22, blutjung sehen sie aus auf den Fotos, so viel Energie in den Gesichtern und so gedrosselt in der allgegenwärtigen Konvention. Kurts verbotene Brautbriefe sind für mich eine Fundgrube – wäre ich Gertrud gewesen, ich wäre erfroren. Da wird alles und jedes aus seinem Umfeld beschrieben, nur nicht seine Leidenschaft für sie. Keine Zärtlichkeit, außer in Anrede und Unterschrift: »Dein Dich liebender Kurt Klamroth«.
Zur Hochzeit gibt es eine aufwendige Speisenfolge von Rebhühnern mit Trüffeln, Stangenspargel (im Oktober!), Straßburger Gänseleberterrine, Rheinsalm mit Sauce Béarnaise, auch Mastkalbsrücken mit Champignon-Sauce und Bratkartoffeln. Dazu trank man 74er Chateau Parveil oder 89er Hochheimer Domdechant, zu den französischen Poularden Pommery und Greno. Mir sieht das nach einem Buffet aus, denn hintereinander mag man so was ja weder essen noch trinken. Kurt heiratet in Zivil, aber es spielt das Musik-Corps der Halberstädter Kürassiere unter anderem den »Großen Triumphmarsch aus der Oper Aida (Solo mit Benutzung der thebanischen
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