Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
Sandstein mit Balkonen, einer »Luftbad« genannten Loggia, liebevoll gestalteten, detailgenauen Simsen, Fledermausgauben, Biberschwänzen auf dem Dach. Innen Jugendstil in Mahagoni, Wandschränke, Abseiten, Stauraum hinter jeder Holzverkleidung. Hermann Muthesius hatte das Repräsentative mit dem Praktischen kongenial verbunden.
Im Eßzimmer konnten 40 Personen tafeln, die Stuckdecken in den Damenzimmern waren von zierlicher Eleganz. Bei den Herren dominierte Eiche an den getäfelten Wänden, in die große Diele mündete die geschwungene Sonntagstreppe. In einer Nische mit Säulen und Seitenbänkchen stand dort – steht immer noch und erschreckt mich jedesmal – der schwere Kamin, der Kurts Faible für Schüttelreime in Stein gemeißelt dokumentiert. Unterm Familienwappen steht da: »Warmer Herd Harm er wehrt«.
Standesgemäßer ging es nicht, jedenfalls nicht für einen Kaufmann in Halberstadt. Kurt war schon Anfang des Jahrhunderts und zehn Jahre vor seinem Hausbau angekommen in jenen gesellschaftlichen Verhältnissen, über die der Publizist Bernhard Guttmann schrieb: »Sich dem freiheitlichen Gedanken zuliebe Richtungen anzuschließen, die ihren Söhnen den Eintritt ins Offizierkorps der Reserve und ihren Töchtern das Tanzen mit Leutnants verwehrt hätte, waren die großen Bürgerlichen nicht geneigt.« Walter Rathenau, selbst Industrieller, urteilte 1919 schärfer und bitterer. Das Großbürgertum habe »um den Preis des Reserveleutnants, des Korpsstudenten, des Regierungsassessors … und des Kommerzienrats die Quellen der Demokratie nicht nur verstopft, sondern vergiftet«.
Auch Kurt wurde wie sein Vater und der Großvater zum preußischen Kommerzienrat ernannt, 1912 bekam er zudem den roten Adlerorden, so etwas wie ein preußisches Bundesverdienstkreuz. Auf jedem offiziellen Foto, bis in die 40er Jahre hinein, trägt der alte Herr ihn am zivilen Revers. Aber daß er nun die Quellen der Demokratie vergiftet hätte – er wußte doch gar nicht, was das ist: Demokratie. Wozu auch? Seinen zahlreichen Arbeitern und Angestellten ging es gut, die meisten von ihnen blieben über Jahrzehnte bei der Firma. Wenn sie ausschieden, bekamen sie ein Ruhegeld, und ihren Witwen und Nachkommen war die tätige Fürsorge des Patriarchen gewiß. Verantwortung für Untergebene war in Kurts kleinteiligem Kosmos nicht nur Pflicht, sondern Neigung, und daß ein Unterschied bestehen könne zwischen Gewährung und verbrieftem Anspruch war Kurt wie vielen seinesgleichen nicht einsichtig.
Außerdem, wo hätte er Demokratie lernen sollen? Im Halberstädter Stadtverordneten-Kollegium saßen die betuchten Honoratioren beisammen, hatten unabhängig und überparteilich das Wohl des Gemeinwesens im Sinn, und wenn es Anlaß zu Streit gab, vertrug man sich wieder über guten Zigarren. Das Reich war ein nahezu absolutistisches System, wo der Kaiser den Kanzler bestimmte und beide die Richtlinien der Politik. Sie waren vom Reichstag weder ein- noch absetzbar, die Regierung unterstand keiner ernsthaften parlamentarischen Kontrolle. Der Reichstag durfte Gesetze abnicken und den Haushalt »mitbestimmen«. Er war ein Löwe ohne Zähne, und Wilhelm II. schmähte das Parlament nicht ohne Grund als »Schwatzbude«.
Auch Kurt überließ die Politik gern denen, die sie schon immer betrieben hatten, und dies nicht zu seinem Schaden. Er war schließlich aus Überzeugung »verjunkert«, aus Überzeugung Offizier geworden. Den beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwung von 1895 bis 1914, wovon er wie viele andere Unternehmer profitierte, dankte er nicht zu Unrecht Wilhelm II. und seiner Regierung. Allein die »vaterlandslosen Gesellen« der Sozialdemokratie bedeuteten eine Gefahr, gegen die das Militär die tradierten Werte hochhielt und verteidigte.
Es war Ehre und Pflicht, dem Vaterland zu dienen, und die Regeln der Klasse waren Gottesfurcht, Mannesmut und Selbstbeherrschung. HG und seinen Bruder dahingehend zu erziehen, war Gertrud entschlossen angetreten. HG sei ängstlich, moniert sie 1904, eine »kleine feige Memme«, die sich vor Hunden, vor Feuer, vor Spinnen fürchtet. Ein Jahr später heißt es, er sei ein Aufschneider, wo es nichts koste, daß er aber immer wieder Zipperlein vortäusche, wenn es ernst werde. »Heulsuse, Feigling und Angeber« nennt ihn die Mutter besorgt – und Vater Kurt setzt in seiner gestochenen Handschrift dazu: »Hoffen wir, daß Du mal ein tapferer, tüchtiger Mann wirst. Gott gebe es!« Ich kann das Wort
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