Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wibke Bruhns
Vom Netzwerk:
Tromben)« – was immer das sein mag. In den launigen Liedern auf die Frischvermählten werden sie kräftig gelobt für ihre Geduld in der vierjährigen Wartezeit: »Doch glänzend endet der heutige Tag die Trennung so schmerzlicher Jahre, und selige Freude erblühen nun mag dem jungen, dem glücklichen Paare.«
    Und was macht dieses »junge, glückliche Paar«? Es geht auf Hochzeitsreise nach England, wo Kurt so viel freizügige Lebensart kennengelernt hat, und er füllt ein goldgeprägtes Fotoalbum »Unsere Hochzeitsreise 1897« im DIN-A 3 Format mit – jawohl: Landschaftsaufnahmen. Mag man sich das vorstellen? Sie führen ein Hochzeitsreise-Tagebuch, wo sie im Wechsel jeden königlichen Rhododendron-Busch, jedes Museum, jeden Meerblick beschreiben (»wir blieben hauptsächlich am Strand und auf der Pier, wo wir mit Begeisterung deutsche Lieder übers englische Meer sangen«), auch das Essen auf dem Dampfer »Kaiser Wilhelm der Große« wird beschrieben (Steinbutt, Persille-Sauce, zerlassene Butter, Kalbskopf à  la Cavour). Kein Wort über die endlich errungene Zweisamkeit, nichts über Glück, Pläne, Zukunft.
    Aber irgendwie wird der Sohn Hans Georg schon entstanden sein – in meinem Kopf heißt er übrigens HG. Neun Tage nach seiner Geburt 1898 schreibt der überglückliche Vater in das Kindertagebuch, wie er »voll von stolzer Vaterfreude unserem Gott für seinen gnädigen Schutz und seine unendliche Güte dankte«. Sonst steht in diesen Kindertagebüchern, die es für alle Klamroth-Sprößlinge gibt, in der Regel nicht viel drin: erste Zähne und die Abneigung gegen Spinat, Geburtstage mit Topfschlagen und Blindekuh, nichts über die Zeit, in der die Kinder aufwuchsen, nichts »Erwachsenes«, obwohl sie das doch als ziemlich Erwachsene lesen werden.
    Also steht in HGs Kindertagebuch auch nicht, daß in seinem Geburtsjahr der Deutsche Flottenverein gegründet wurde, eine erstaunliche PR-Maschine, die ein paar Jahre später schon von Millionen Mitgliedern – unter ihnen natürlich Kurt – getragen wurde. Ihr Ziel war es, die Weltgeltung der deutschen Seestreitkräfte, das »Riesenspielzeug« von Wilhelm II. und Großadmiral Alfred von Tirpitz, zur urdeutschen Angelegenheit zu machen.
    HG, sein Bruder und alle kleinen Jungs im Kaiserreich trugen arglos dazu bei, indem sie sonntags weiße Matrosen-Anzüge anzogen. Wir kennen diese Fotos aus der Zeit: überall uniforme Kinderlein im Seemanns-Look. Für die Wochentage gab es die dunkelblaue Version, auch kleinen Mädchen wurde die Scheußlichkeit verpaßt – die Firma Bleyle hat sich daran gesundgestoßen.
    Sonst entnehme ich HGs Kindertagebuch, daß wir uns heute gar nicht mehr klarmachen, wie schwierig das Leben ohne Antibiotika und Rundum-Impfungen war. Immerzu sind nicht nur die Kinder krank, und zwar wochenlang. Jede Erkältung, jeder entzündete Ratscher am Bein ist eine veritable Gefahrenquelle, der Tod lauert um die Ecke, und die von langen Nachtwachen erschöpften Mütter – erschöpft trotz Personals – müssen mitsamt den Rekonvaleszenten häufiger zur Kur nach Pyrmont oder Badgastein. Ich lese in Gertruds eiliger Sütterlinschrift im Herbst 1900, daß »Tage ohne Haue« selten sind, da ist HG gerade zwei. Um seinen sechsten Geburtstag herum wird resümiert: »Leider sind die Böcke recht häufig und oft, oft mußte die Rute kommen und einem bösen Hauskonzert den rechten Grund geben.« Die Ohrfeige, »damit Du weißt, warum Du heulst!«, hörte erst in der Generation meiner Kinder auf, wenn überhaupt.
    HG ist ein gefräßiges Kind – Mutter Gertrud schreibt über den Vierjährigen, wie er eines Morgens aufwacht und strahlend erzählt: »Ich habe geträumt, ich hätte immerzu essen dürfen und wäre ganz satt geworden.« Nie ist er satt, und er schlingt so viel in sich hinein mit anschließendem »Magen-Fieber«, daß dies dauernd Thema ist im Kindertagebuch. Ob die Eltern mal nach einem Bandwurm geguckt haben? Jedenfalls hat das HG in seinem späteren Leben nicht geschadet – ich kenne nur Fotos, wo der Junge schlank ist, und auf den Bildern aus der Schwimmstaffel beeindruckt sein Waschbrettbauch.
    Mit drei Jahren schon ist HG ein Pedant. Wer aus dem Garten kommt, muß die Schuhe abputzen, und verläßt jemand ein Zimmer, macht der Junge hinter ihm das Licht aus. Jeden Morgen kontrolliert er die im Haus befindlichen Kalender, er erträgt es nicht, schreibt Vater Kurt, wenn ein Kalender »einen Tag zurückgeht«. Er zählt die

Weitere Kostenlose Bücher