Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
allenthalben eingeforderten Haltung dein Entsetzen über diesen Tod nie herausschreien konntest, auch nicht deine Trauer über das Scheitern eures gemeinsamen Lebens.
Ich bin Else dankbar, daß sie mir das nicht erzählt hat. Ich hätte damit nicht umgehen können. Ich hätte mich nicht zurechtgefunden in den Trümmern ihrer Seele, wenn eine Art Entscheidung nötig gewesen wäre zwischen dem Mann, dessen Tod ihn unangreifbar machte, und der Frau, die ich lieben wollte, mich meinetwegen an ihr reiben. Bemitleiden wollte ich sie nicht. Damals nicht. In meinen jungen Jahren war die Mutter die Meßlatte, an der ich wuchs, gegen die ich meine eigene Kraft erprobte. Ich hätte nicht ringen mögen mit den Schatten der Vergangenheit und denke, ich war zufrieden mit der Tabuzone, die mir das ersparte.
Hans Georg wird hingerichtet am 26. August 1944, er geht den Weg vom »Todeshaus« in Plötzensee vermutlich wie alle anderen in Sträflingskleidung, die Hände auf dem Rücken gefesselt, die nackten Füße in Holzpantinen. Es ist ein strahlender Sommertag, 32 Grad, nahezu wolkenlos. Der Tod wird um 12.44 Uhr festgestellt, eingetragen beim Standesamt Berlin-Charlottenburg »auf mündliche Anzeige des Hilfsaufsehers Paul Dürrhauer, wohnhaft Berlin, Manteuffelstraße 10«. Der Anzeigende, so wird vermerkt, sei »bekannt und erklärte, er sei vom Tode aus eigener Wissenschaft unterrichtet«. Ich habe Paul Dürrhauer nicht fragen können. Er ist 1976 gestorben. Ich muß ihn auch nicht fragen. Der Standesbeamte Gluck hat am 28. August 1944 »in Vertretung« unterschrieben: »Todesursache: Erhängen«.
Ein Irrtum? Und wenn ja, wessen Irrtum? Hans Georg und Else waren beide Parteigenossen, er eingetreten 1933, sie 1937, er war Mitglied der SS, sie war Ortsgruppenführerin der NS-Frauenschaft. Im Aufnahmeantrag hat sie bestätigt, sie sei »deutsch-arischer Abstammung und frei von jüdischem oder farbigem Rasseeinschlag«, und ihre Unterschrift auf dem Formular ist ausladend und selbstbewußt wie immer.
Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um. So steht es im Alten Testament. Neben den Eltern mußten Millionen Deutsche das bitter erfahren. Haben sie begriffen, daß die Gefahr nicht in erster Linie die Kriegsgegner waren, sondern sie selber? Else erst mal nicht. 1947 noch schreibt sie in die Tagebücher, die sie für jedes Kind führt von der Geburt bis zur Konfirmation: »Ich sah voll Grauen auf die sinnlose Zerstörung und das Hinopfern des Volkes, nur weil ein Mann zu feige war einzugestehen, daß er gescheitert war.« Ein Mann? Gescheitert? War nicht schon der Beginn ein Höllentanz?
Nicht für Else. Jubelnd schreibt sie 1942 einem Freund an der Ostfront: »Es geht ja wunderbar vorwärts – 80 km von Stalingrad entfernt! Sind wir dort, ist die Zange doch zu!« Im selben Jahr in einem ihrer Sonntagsbriefe: »Wenn wir wirklich nach Alexandria kommen, wo bleibt dann England mit der Flotte? Wenn sie raus müssen, gehört uns das Mittelmeer!!!« Gehört uns? So war das. Es ging um Lebensraum. Hans Georg schreibt zwar von der Front in Rußland 1942, man müsse die unterworfenen Völker gewinnen: »Wer ein Volk führen will, muß seine Sprache beherrschen, da er sonst nicht bis zu seiner Seele vordringt, und die gilt es zu erobern – mit der Knechtung des Leibes ist es nicht getan!« An der Legitimität der »Knechtung« aber und an dem Führungsanspruch besteht kein Zweifel.
Wann hat er verstanden, in welchem Strudel er sich befand? Wann ist Hans Georgs Bewußtsein für das entsetzliche Unrecht dieses Dritten Reiches entstanden, wenn überhaupt? Wann hast du erkannt, daß du betrogen wurdest? Im Urteil des Volksgerichtshofs heißt es, Hans Georg habe am 10. Juli 1944 von der Verschwörung erfahren und die Beteiligten nicht angezeigt. Dafür mußte er hängen. Das Urteil sagt aber auch, er und sein Schwiegersohn Bernhard Klamroth seien unter den sechs Angeklagten diejenigen, die »dem Mordanschlag unmittelbar selbst am nächsten« gestanden hätten – wie paßt das zusammen?
Ich weiß die Wahrheit nicht. Es spricht vieles dafür, daß Hans Georg als erfahrener Abwehrmann die Vernehmer in Ernst Kaltenbrunners Reichssicherheitshauptamt getäuscht, daß er, wie einige andere Männer des 20. Juli auch, bis unmittelbar vor seiner Hinrichtung hoch gepokert und verloren hat. Er kannte zu viele aus dem Verschwörerkreis, als daß er bis zehn Tage vor dem Attentat ahnungslos gewesen sein kann. Zum Teil waren das Beziehungen noch aus
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