Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wibke Bruhns
Vom Netzwerk:
war ein Schweigen, wo Fragen sich verbot. Die Zumutung wurde von beiden Seiten vermieden.
    1979 bereitete ich unseren Umzug nach Jerusalem vor. Ich fuhr mit dem Auto da runter, von Ancona nach Haifa mit dem Schiff, schon die Einfuhr-Formalitäten im Hafen ließen keinen Zweifel offen: Hier bin ich in einem orientalischen Land. Ich fand ein Haus auf dem Mount Scopus in der Nähe der Hebräischen Universität mit weitem Blick über die karstige Wüste, weit unten ein arabisches Dorf. Die englische Schule für die Kinder war vor 100 Jahren ein anglikanisches Missionskrankenhaus gewesen. Als ich zum ersten Mal durch den weitläufigen Garten ging, vorbei an Oleanderhecken und Feigenbäumen, stand für mich fest, es ist ganz egal, ob die Töchter hier Mathematik und Satzbau lernen oder nicht. Die ausgetretenen Stufen und schiefen Sandsteinwände, die wuchernden Geranien, das Gewusel von Kindern aus 40 Nationen von tiefschwarz bis strohblond würden später eine leuchtende Erinnerung an ihre Schulzeit abgeben – so war es dann auch.
    Ich recherchierte gleichzeitig eine Geschichte über eine palästinensische Familie in Hebron im Westjordanland, und hier erfuhr ich, was unser Alltag werden würde: abgrundtiefer Haß zwischen der arabischen Bevölkerung und den israelischen Siedlern aus Kiryat Arba gleich nebenan. Ich stand einen »curfew« durch mit meinen Gastgebern, die tagelange Ausgangssperre, während der nur ich auf die Straße durfte, um für die vielköpfige Familie Lebensmittel einzukaufen. Die Geschäfte waren verrammelt, ich gelangte durch die Hintertür hinein, und draußen führten die jungen Schnösel aus der Siedlung ihre Kalaschnikows und Uzis spazieren. In Jerusalem, wo jeder Stein Geschichte ist, tauchte ich ein in das damals noch fast friedliche Nebeneinander von Nationalitäten und Religionen, in den aberwitzigen Krach auf den Märkten und die Besitz ergreifende Zuwendung wildfremder Menschen. Ich schlug mich mit Behörden herum wegen unseres Zuzugs, kämpfte um meine Akkreditierung, brauchte Stunden auf der Bank, um etwas so Simples wie zwei konvertierbare Konten einzurichten. Es waren sechs prallvolle Wochen, während derer ständig die Sorge an mir nagte, wie meine behüteten Kinder wohl den Wechsel aus dem ordentlichen Hamburg in dieses exotische Durcheinander verkraften würden. Sie waren damals 12 und elf, und sie haben sich erstaunlich schnell akklimatisiert.
    Bei einem der zahlreichen Telefonate nach Hause erzählte mir die Kinderfrau, es liefen Dokumentationen über den 20. Juli im Fernsehen, und eher beiläufig bat ich sie, beim nächsten Mal doch eine Video-Kassette einzulegen. Ich flog zurück, verspätet, auf dem Flughafen hatte es Bombenalarm gegeben, auch daran würde ich mich gewöhnen. In der Maschine hielt eine Gruppe orthodoxer Juden eine lautstarke Betstunde ab, stehend im Gang und mit schwarzen Hüten über ihren Schläfenlocken. Staunend betrachtete ich ihre dafür vorgeschriebene Ausstattung, den »Tallit«, den Gebetsmantel, und die »Tefillin«, die um Stirn und Arm gewickelten Gebetsriemen. Auch wunderte ich mich über die wippenden Bewegungen ihrer Oberkörper – ich würde noch viel lernen müssen.
    Tief in der Nacht kam ich in Hamburg an, küßte die schlaftrunkenen Kinder, ließ mir erzählen, wie das Leben gewesen sei in der Zeit, als ich in der verwirrenden Fremde war. Irgendwann morgens um drei, ich war hundemüde, goß ich mir einen Whisky ein und versuchte, mich zurechtzufinden in dem Kontrast zwischen meinem aufgeräumten Rothenbaum-Ambiente und dieser wilden, wirren, seit Tausenden von Jahren heiligen Stadt, die unser Zuhause werden sollte.
    Auf dem Fernseher lag eine Kassette. Ich schob sie in den Recorder, ahnungslos. Da stand mein Vater vor dem Volksgerichtshof. Kerzengerade, elend in einem zu großen Anzug, stumm steht er da in einer kurzen Sequenz, während die Stimme des Vorsitzenden Roland Freisler keift und tobt. Ich sehe mich sitzen, fassungslos. 35 Jahre war das her damals, ein Lidschlag in der Geschichte. Vor 35 Jahren – da war der Vater 45 Jahre alt, knapp fünf Jahre älter als ich auf diesem Sofa in Hamburg. Sein Leben, seine Hoffnungen, alles war vorbei. Große Teile Deutschlands lagen in Trümmern. Der Krieg war verloren, auch wenn er sich noch ein quälendes Jahr lang hinzog. Die Welt der Menschen dieser Zeit war zu Ende. Nie wieder würden die Deutschen, so schien es, den Fluch, die Scham ihrer Jahre überwinden können. Sie zahlten für ihre

Weitere Kostenlose Bücher