Meister Antifer's wunderbare Abenteuer
Kapitän der »Charmante Amélie« hatte seinen Widerwillen wohl oder übel bekämpfen und sich zu einer Ueberfahrt zur See entschließen müssen, wo er vielleicht die schlimmen Launen Neptuns kennen lernen sollte – er, der nur an das Lächeln schöner Flußnymphen gewöhnt war. Meister Antifer hatte ihm jedoch auf den Kopf zugesagt, daß er sein Bündel zu schnüren und es an Bord des »Steersman« zu befördern habe – und dagegen wagte er nicht die leiseste Einwendung. Alle nahmen zärtlich von einander Abschied; Enogate lag schluchzend an Juhels Brust, Nanon theilte ihre Zärtlichkeit zwischen ihrem Neffen und ihrem Bruder, und Gildas Tregomain hatte große Angst, die nicht zu sehr in seine Arme zu pressen, die den Muth gehabt hatten, sich in dieselben zu werfen. Schließlich war auch die Versicherung gegeben worden, daß die Abwesenheit nicht lange dauern werde und nicht sechs Wochen vergehen würden, ohne daß die ganze Familie wieder im Hause der Rue des Hautes-Salles vereinigt wäre, und dann wollte man Meister Antifer – ob dieser nun Millionär geworden wäre oder nicht – schon dazu zu bringen suchen, die so traurig unterbrochne Eheschließung vor sich gehen zu lassen.
Dann war das Schiff nach Westen hinaus gefahren und das junge Mädchen folgte ihm mit nassen Augen, bis sein Mastwerk am Horizonte untertauchte.
Da hat wohl der Dampfer »Steersman« zwei Personen vergessen, die doch nicht von so geringer Bedeutung waren und denen die Pflicht oblag, den Legatär Kamylk-Paschas zu begleiten? In der Liste befanden sich der Notar Ben Omar und Saouk oder Nazim nicht und auch nicht an Bord des Schiffes, dessen Abfahrt sie aber nicht etwa versäumt hatten.
Es lag das vielmehr so, daß die Zustimmung des ägyptischen Notars, mit auf den Dampfer zu gehen, nicht zu erlangen gewesen war. Schon bei der Fahrt von Alexandrien nach Marseille war er so jämmerlich seekrank gewesen, wie das überhaupt, sogar für einen Notar, nur statthaft ist. Jetzt, wo sein Unstern ihn gar bis nach Suez und wer weiß wohin sonst noch verschlagen sollte, hatte er feierlich geschworen, nur den Landweg zu benützen, so lange der Seeweg zu vermeiden war. Saouk hatte dem in keiner Weise widersprochen, und Meister Antifer brannte ja im Grunde auch nicht darauf, Ben Omar als Reisegesellschafter zu haben. Er hatte sich vielmehr begnügt, mit diesem gegen Ende des Monats zusammenzutreffen, ohne ihm zu sagen, daß sie bis Mascat weiter reisen mußten. Dann würde der Notar noch genügend Gelegenheit haben, den Zorn des unzuverlässigen Elements zu kosten.
Meister Antifer hatte sogar hinzugefügt:
»Da Ihr Client Sie beauftragt hat, als Testamentsvollstrecker bei der Ausgrabung meines Legats gegenwärtig zu sein, so kommen Sie mit dorthin. Wenn die Umstände uns aber nöthigen, gemeinschaftlich zu reisen, so bleiben wir einander möglichst weit vom Leibe, denn ich verspüre keine Lust, mit Ihnen oder Ihrem Schreiber noch nähere Bekanntschaft zu machen!«
Aus dieser wenig freundlichen Bemerkung erkennt man ja unsern Malouin.
Saouk und Ben Omar hatten Saint-Malo darauf vor der Abfahrt des »Steersman« verlassen, und deshalb befanden sie sich also nicht unter den Passagieren des Kapitän Cip – worüber es auch keinem Menschen einfiel, sich irgendwie zu beklagen.
Der Leser weiß ja, daß der Notar, von einer Seite bedrängt von der Furcht. seinen Antheil einzubüßen, wenn er der Hebung des Schatzes nicht beiwohnte, und von der andern durch den unbeugsamen Willen Saouks angespornt, den Meister Antifer schon nicht verlassen würde. Er mußte ja vor diesem in Suez eintreffen und würde ihn hier gewiß mit einiger Ungeduld erwarten.
Inzwischen glitt der »Steersman« unter Volldampf längs der französischen Küste hin. Er wurde vom Südwind nicht allzusehr belästigt, da ihm das nahe Land noch einigen Schutz gewährte. Gildas Tregomain konnte sich entschieden Glück wünschen. Er hatte sich vorgenommen, diese Reise bestens auszunützen, die Sitten und Gebräuche der verschiedenen Länder zu studieren, in die ihn das Schicksal nun einmal verschlug. Da es aber zum ersten Male war, daß er sich aufs hohe Meer wagte, fürchtete er mit Recht, von der Seekrankheit belästigt zu werden. So ließ er die Blicke halb neugierig, halb ängstlich über den Horizont schweifen, wo Himmel und Wasser sich berührten. Er versuchte es gar nicht, den wetterfesten Seemann zu spielen, der brave Mann, und etwa, große Schritte machend, sich zu stellen, als ob
Weitere Kostenlose Bücher