Meister Antifer's wunderbare Abenteuer
er die Bewegungen des Schiffes gar nicht spürte. Seine Füße hätten wohl auch bald ihren Stützpunkt verloren, da sie nur das unbewegte Deck eines Flußschiffes gewöhnt waren. So saß er denn auf die Arme gestützt und etwas zusammengebogen auf einer Bank des Hinterdecks, wobei ihn der unerbittliche Pierre-Servan-Malo mit seinen schlechten Witzen nicht verschonte.
»Na, Frachtschiffer, wie gehts denn?
– O, bis jetzt hätt’ ich mich nicht gerade zu beklagen.
– Na freilich, jetzt gondeln wir auch eigentlich noch durch Süßwasser hin, und Du hast am Ende das Recht zu glauben, Du wärst auf der »Charmante Amélie« zwischen den engen Ufern der Rance. Wenn aber so ein steifer Nordwester käme und das Meer die Zähne zeigte, dann würdest Du die Deinigen wohl nicht mehr so stille halten!
– Das Meer hat doch keine Zähne, alter Freund!
– Na, das ist so eine Redensart, und ich erwarte vom Ocean, wenn wir erst den Aermelcanal im Rücken haben…
– Du meinst, dann würde ich krank werden?…
– Und ganz gehörig, das will ich Dir schriftlich geben!«
Meister Antifer verstand wirklich die Leute, die sich nur an seine Worte hielten, ins Bockshorn zu jagen. Juhel glaubte sich also verpflichtet, die schlechte Wirkung dieser Vorhersagungen abzuschwächen.
»Mein Onkel übertreibt gern, Herr Tregomain, Sie werden vielleicht gar nicht mehr seekrank werden…
»Bin ich schlimmer krank – als der Führer einer Frachtschule.« (S. 122.)
– Als ein Meerschwein? Weiter verlange ich ja gar nichts,« antwortete der Frachtschiffer, der nach einigen Schaumkronen hinwies, die das Kielwasser des »Steersman« aufwirbelte.
Gegen Abend passierte das Schiff die äußerste Spitze der Bretagne. Als es in den, durch die Höhen von Quessant gedeckten Canal du Four einlief, hatte es nicht zu schwere See, obwohl der Wind gerade von vorn stand. Die Passagiere legten sich zwischen acht und neun Uhr nieder und ließen den Dampfer während der Nacht die Landspitze Saint-Mathieu, die Einfahrt von Brest, die Bai von Douarnenez, das Inselgewirr der de Seins umschiffen und den Cours nach Südwesten der Iroise gegenüber einschlagen.
Der Frachtschiffer träumte, so krank zu sein, als wäre sein letztes Stündlein gekommen. Zum Glück war’s aber nur ein Traum. Am nächsten Morgen begab er sich, obwohl das Fahrzeug tüchtig schaukelte und stampfte und sich einmal auf einen Wogenkamm emporhob, um dann wieder hinabzusinken, doch ohne Zögern auf’s Verdeck hinaus. Da es sein Geschick einmal bestimmt hatte, daß er seine Laufbahn als Schiffer durch eine Fahrt auf dem Meere abschließen sollte, gedachte er sich wenigstens alle Vorkommnisse dabei fest ins Gedächtniß einzuprägen.
Eben erschien er also auf den letzten Stufen unter der Treppenkappe, von wo er mit dem halben Leibe hervorguckte. Doch wen erblickte er da auf einem Gitter ausgestreckt… bleich… blutlos, glucksend, wie eine sich entleerende Tonne?…
Den Meister Antifer in Person – Antifer, Pierre-Servan-Malo, angegriffen, wie es nur die zarteste Lady auf der Ueberfahrt von Boulogne nach Folkestone sein kann!
Hei, der fluchte und wetterte aber, als er das ruhige und muntre Gesicht seines Freundes erblickte, dem auch nicht das geringste zu fehlen schien!
»Ja… tausend Donnerwetter! rief er. Sollt’ einer das glauben? Nach zehn Jahren, wo ich den Fuß auf keine Planke gesetzt habe… bin ich… ein alter Küstenfahrer… schlimmer krank als so ein Führer einer Frachtschule!
– Ja… aber… ich bin überhaupt nicht krank, wagte Gildas Tregomain zu bemerken, indem er so freundlich wie möglich lächelte.
– Du nicht!… Und warum bist Du’s nicht?…
– Ich wundre mich selbst darüber, lieber Freund.
– Deine Rance hat doch aber niemals so ausgesehen, wie hier das Meer bei steifem Südwest!…
– Nein, das nicht.
– Und Du siehst auch nicht aus, als ob Du kentern müßtest….
– Ich bedaure es, erwiderte Gildas Tregomain, weil Dir das nicht zu gefallen scheint.«
Nun denke man sich einen aus noch besserem Teige gekneteten Menschen auf diesem Erdenrund!
Wir beeilen uns übrigens hinzuzufügen, daß das Unwohlsein des Meister Antifer bald vorüberging. Ehe der »Steersman« noch das Cap Ortegal an der Nordwestspitze Spaniens passierte und als er noch im Golfe de Gascogne, der vom Wogenschwall aus dem Atlantischen Ocean immer gehörig gepeitscht wird, dahinschwankte, hatte der Malouin seinen sichern Tritt und seinen Theerjackenmagen
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