Meister und Margarita
leichenfahl streckt beide Arme nach ihm aus, lässt dann den Kopf auf die Tischplatte fallen und sackt zu Boden.
– Giftmörder … –, brachte er noch hervor. Schnell, das Messer packen, Azazello treffen! Doch die Hand glitt ermattet vom Wachstuch herab. Und alles rings wurde schwarz und schwand. Er stürzte vornüber und riss sich im Sturz die Schläfe an der Kante des Pults auf.
Die Vergifteten verstummten. Azazello begann jetzt tätig zu werden: Als Allererstes flog er durchs Fenster. Sekunden später war er in Margarita Nikolajewnas Villa. Für ihn – stets gründlich und zuverlässig – galt es zu prüfen, ob alles picobello war. Nun, es war alles picobello. Azazello sah eine verstimmte, auf die Rückkehr ihres Ehemanns wartende Frau aus dem Schlafzimmer kommen, plötzlich erblassen, sich ans Herz greifen und hilflos rufen:
– Natascha! Irgendjemand … Schnell … zu mir! –, dann im Salon zu Boden sinken, ohne das Arbeitszimmer erreicht zu haben.
– Prächtig –, stellte Azazello fest. In der nächsten Sekunde befand er sich wieder neben den hingestreckten Liebenden. Margarita lag, das Gesicht nach unten. Und mit seinen stahlharten Fingern drehte er sie zu sich. Wie eine Puppe. Betrachtete sie voll Aufmerksamkeit. Und vor ihm veränderten die Züge der Vergifteten ihre Gestalt. Selbst das eintretende Gewitterdunkel vermochte die Wandlung nicht zu verbergen: Ihr zeitweilig scheeles, derb ungestümes Hexenaussehen zerging nach und nach. Das Antlitz der Toten erhellte sich, wurde endlich weich. Auch das Gebiss hatte nichts Raubtierhaftes mehr, erstarrte im Ausdruck weiblichen Leids. Da presste Azazello ihre weißen Zähne auseinander und flößte ihr ein paar Tropfen ein. (Es waren Tropfen desselben Weins, mit dem er sie zuvor vergiftet hatte.) Margarita seufzte, begann aufzustehen, und zwar ohne Azazellos Hilfe, setzte sich hin und fragte kraftlos:
– Azazello, was habe ich denn verbrochen, dass Sie mir so etwas antun?
Sie erblickte den liegenden Meister, zuckte zusammen und flüsterte:
– Damit habe ich nicht gerechnet … Umgebracht!
– Aber nein doch, aber nein –, erwiderte jener, – gleich kommt er wieder zu sich. Was sind Sie nervös!
Der rothaarige Dämon klang sehr handfest. Margarita beruhigte sich sofort. Sie sprang auf – lebendig und stark – und half, dem Liegenden Wein einzuflößen. Der öffnete die Augen, schaute düster, wiederholte voll Hass das letzte Wort:
– Giftmörder …
– Ach ja! Beleidigung ist der übliche Lohn für gute Arbeit –, sagte Azazello. – Sind Sie etwa blind? Mensch, machen Sie die Augen auf!
Da erhob sich der Meister, warf einen lebendigen und strahlenden Blick umher und fragte:
– Und was hat dieses Neue dann zu bedeuten?
– Nur eins: Es wird Zeit für uns –, antwortete Azazello. – Schon rauscht der Sturm, hören Sie? Es wird dunkel. Die Rosse scharren mit den Hufen. Der kleine Garten erbebt. Sagt dem Keller Lebwohl, sagt schnell Lebwohl!
– Ah, ich verstehe –, begriff der Meister und sah sich um, – Sie haben uns getötet. Wir sind Tote. Das ist wirklich raffiniert! Das trifft sich gut! Ich habe alles verstanden.
– Ach, kommen Sie –, sagte Azazello, – dass Sie so reden! Und dabei nennt Ihre Gefährtin Sie einen Meister! Sie denken doch! Ergo: Wie könnten Sie tot sein? Ist es unbedingt nötig, um sich lebend zu fühlen, in einem Kellerloch zu hocken? In Hemd und Krankenhaushose? Das ist zu lächerlich!
– Ich habe alles verstanden –, rief der Meister, – kein Wort mehr! Sie haben tausendmal recht!
– Der große Woland! –, stimmte Margarita mit ein. – Der große Woland! Er hat es weit besser gefügt als ich es mir jemals vorstellen könnte! Nur – der Roman, der Roman –, ermahnte sie den Meister, – nimmt ihn mit dir, ganz gleich, wohin du fliegst.
– Nicht nötig –, antwortete der Meister, – ich kenne ihn auswendig.
– Aber du wirst … daraus kein Wort vergessen? –, fragte Margarita, drückte sich an ihren Geliebten und wischte ihm das Blut von der aufgerissenen Schläfe.
– Keine Sorge! Nie wieder vergesse ich etwas –, sagte jener.
– Nun denn! Das Feuer! –, rief Azazello. – Das Feuer, mit welchem alles begann und mit welchem wir alles beenden.
– Das Feuer! –, schrie Margarita furchtbar. Und fortgeweht wurde der Vorhang. Das Fenster polterte. Am Himmel donnerte es kurz und freudevoll. Azazello schob seine Krallenhand in den Ofen, holte ein rauchendes Holzscheit hervor und
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