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Meister und Margarita

Meister und Margarita

Titel: Meister und Margarita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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sprach nicht zu Ende. In der Tür zeigte sich wieder dieselbe Frau. Und Warenucha und Rimski fuhren hoch und liefen ihr entgegen, während sie diesmal ihrer Tasche kein weißes, sondern ein irgendwie dunkles Blatt entnahm.
    – Wird ja langsam interessant –, presste Warenucha durch die Zähne heraus und folgte der sich eilig entfernenden Frau mit den Augen. Als Erster ergriff Rimski von dem Blatt Besitz.
    Auf dem grauen Grund des Photopapiers waren deutlich vier schwarze handgeschriebene Zeilen zu sehen: »zum beweis schriftprobe signatur bitte telegraphisch bestätigen lasst woland heimlich beschatten lichodejew«.
    In den zwanzig Jahren seiner Arbeit fürs Theater hat Warenucha so manches erlebt. Jetzt aber fühlte er, wie sein Hirn von einem Nebelschleier umhüllt wurde. Darum konnte er nichts zustande bringen, bis auf die läppische Allerweltsfloskel:

    – Das ist vollkommen ausgeschlossen!
    Rimski reagierte ganz anders. Er erhob sich, öffnete die Tür und schnauzte die Hausbotin an, die draußen auf einem Schemel saß:
    – Mir kommt niemand hier rein, allein der Briefträger! –, und drehte den Schlüssel im Schloss herum.
    Daraufhin holte er aus dem Schreibtisch einen Stapel Papiere heraus und begann die fetten, nach links geneigten Buchstabenfolgen des Phototelegramms mit denen aus Stjopas Resolutionen sowie mit seiner schnörkligen, geschraubten Unterschrift zu vergleichen. Warenucha, über den Tisch gebeugt, atmete heiß gegen Rimskis Wange.
    – Es ist seine Handschrift –, sagte der Finanzdirektor mit fester Stimme, und Warenucha warf wie ein Echo zurück:
    – Seine Handschrift.
    Der Administrator forschte in Rimskis Gesicht und wunderte sich über den Wandel, der sich darin vollzogen hatte. Der ohnehin hagere Finanzdirektor wirkte noch hagerer, ja gealtert. Seine Augen hatten hinter der Hornfassung ihre einstige Sachlichkeit verloren. In ihnen lag jetzt nicht nur Sorge, sondern auch Trauer.
    Warenucha unternahm nun wirklich alles, was einem Mann in Augenblicken tiefsten Staunens ziemlich ist, heißt: durchs Zimmer laufen, einige Male wie ein Gekreuzigter die Arme heben, sich aus der Karaffe ein ganzes Glas gelblichen Wassers genehmigen, laut ausrufen:
    – Ist mir ein Rätsel! Ist mir ein Rätsel! Ist! Mir! Ein! Rät! sel!
    Indessen sah Rimski aus dem Fenster und dachte angestrengt nach. Der Finanzdirektor befand sich nämlich in einer äußerst prekären Lage. Es galt, sogleich, und zwar auf der Stelle, für unerklärliche Phänomene eine Erklärung zu fabrizieren.
    Er kniff die Augen zusammen. Er stellte sich Stjopa vor – im Nachthemd – barfuß. Jetzt steigt er – heute – gegen halb zwölf – in irgendein märchenhaftes Superflugzeug. Und abermals Stjopa. Jetzt aber steht er – ebenfalls gegen halb zwölf – ebenfalls barfuß – am Flughaften Jalta … Verdammt noch mal!
    Vielleicht war es gar nicht Stjopa gewesen, der mit ihm heute aus seiner Wohnung telefoniert hatte? Ach, wer denn sonst! Er kennt doch schließlich Stjopas Stimme! Und selbst wenn! Kam nicht Stjopa gestern Abend aus seinem Büro in dieses Büro und wedelte mit dem blöden Vertrag, weshalb sich der Finanzdirektor noch über dessen Leichtgläubigkeit ärgerte? Er kann doch nicht wegfahren oder wegfliegen, ohne im Theater Bescheid zu geben? Und selbst wenn! Er schaffte es nie und nimmer, heute um Mittag in Jalta zu sein. Oder etwa doch?
    – Wie weit ist’s bis Jalta? –, überlegte Rimski.
    Warenucha ließ das Gerenne sein und brüllte:
    – Hab’ ich mich auch schon gefragt! Bis Sewastopol fährst du mit der Eisenbahn um die tausendfünfhundert Kilometer. Und bis Jalta rechne noch achtzig drauf. Auf dem Luftweg ist es natürlich kürzer.
    Hmm … Tja … Die Eisenbahn kann man vergessen. Und was dann? Ein Raketenflugzeug vielleicht? Doch seit wann darf ein Mann ohne Schuhe hinein? Und vor allem: Zu welchem Zweck? Oder zog er die Schuhe aus, erst nachdem er in Jalta gelandet war? Dieselbe Frage: Zu welchem Zweck? Ach was, selbst in Schuhen darf der nicht rein! Also weg mit dem Raketenflugzeug. Es steht ja geschrieben, er kam zur Miliz um halb zwölf, nicht wahr? Und in Moskau telefonieren tat er … Momentchen … Vor Rimskis Augen erschien das Zifferblatt seiner Uhr … Er versuchte, sich ins Gedächtnis zu rufen, wo der Zeiger gestanden hatte. Meine Güte! – Bei zwanzig nach elf. Dann sieht es folgendermaßen aus: Sofort nach dem Anruf schwirrt Stjopa zum Flughafen und erreicht ihn in, sagen wir, fünf Minuten?

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