Meister und Margarita
Administrator rieb sich die Augen und bemerkte – dort über Moskau – ganz tief – mit gelbem Wanst – eine Sturmwolke schleichen. In der Ferne knurrte es kehlig.
Trotz der Eile verspürte Warenucha ein inniges Verlangen, mal kurz das Sommerklo aufzusuchen und im Vorbeiflug zu überprüfen, ob man die Lampe vergittert hatte.
Warenucha jagte an der Schießbude vorbei und geriet in ein dichtes Fliedergestrüpp, worin sich das bläuliche Toilettenhäuschen befand. Nun, auf den Techniker war Verlass: Die Deckenlampe bei den Herren hing eingespannt in ein eisernes Netz. Doch es machte den Administrator traurig, dass selbst dieseDunkelheit vor dem Sturm die Schmiererei an der Wand nicht verbergen konnte – da! mit Kohle und Bleistift.
– Das ist ja mal wieder eine echte …! –, begann er, und vernahm im Rücken die schnurrende Stimme:
– Demnach wären Sie Iwan Saweljewitsch?
Warenucha fuhr zusammen, wandte sich um und sah einen niedriggewachsenen Dicken, dessen Visage katzenhaft wirkte.
– Ja und? –, sagte Warenucha unwirsch.
– Das ist sehr, sehr angenehm –, piepste der katerartige Dicke, holte aus und versetzte Warenucha einen so heftigen Schlag übers Ohr, dass es ihm glatt die Mütze fortriss, die spurlos in der Öffnung des Sitzes verschwand.
Vom Schlag des Dicken erstrahlte das Klo sekundenlang im zitternden Licht, und der Himmel warf ein Donnern zurück. Dann flirrte es wieder: Vor dem Administrator erstand sogleich ein Zweiter und Kleiner – kräftige Schultern, feurig rot, ein Auge mit Star, ein Stoßzahn im Mund. Dieser Zweite, ganz offenbar Linkshänder, patschte ihm eins übers andere Ohr. Als Antwort krachte erneut der Himmel, und auf das Holzdach der Toilette prasselte eine Sturzflut herab.
– Moment mal, Geno… –, brachte der Administrator entgeistert hervor, begriff jedoch: Der gewählte Ausdruck »Genossen« passt wohl kaum zu zwei Ganoven, die einen Menschen auf öffentlicher Toilette überfallen. Er krächzte: – Meine He… –, und erkannte sofort, dass sie diese Bezeichnung noch weniger verdienen. Und erhielt einen dritten, furchtbaren Schlag, von wem auch immer, dass ihm das Blut aus der Nase schoss, direkt aufs Hemd.
– Was hast du im Koffer, du mieser Bastard? –, schrie gellend der mit dem Katergesicht. – Telegramme? Du wurdest telefonisch gewarnt, sie nirgendwo hinzubringen! Nicht wahr?
– Es war … ich wur… gewar… –, keuchte der Administrator.
– Aha! Und da rennst du trotzdem los? Und jetzt her damit, du elende Ratte! –, rief mit derselben näselnden Stimme wievorhin im Telefonhörer der Zweite und entriss Warenuchas zitternden Händen den Aktenkoffer.
Dann griffen sie beide dem Administrator unter die Arme. Dann zerrten sie ihn auf die Gartenstraße und sausten dahin. Der Sturm war gewaltig. Die Fluten stürzten mit viel Getöse in die Gullys hinein. Es blubberte, alle Wellen schwollen. Von den Dächern schüttete es an den Rinnen vorbei. Aus den Gassen sprudelten schäumende Ströme. Alles Lebende war wie weggespült, keiner konnte Iwan Saweljewitsch beistehen. Über die trüben Gewässer hüpfend, von Blitzen beleuchtet, schleppten die Schurken den völlig zerrütteten Administrator in null Komma nichts zu dem Haus Nr. 302 Block B. Flitzten mit ihm durch die Toreinfahrt. (Darin drückten sich zwei barfüßige Frauenzimmer an die Mauer, die Schuhe in der Hand.) Dann zum Eingang 6, wo Warenucha, dem Wahnsinn nahe, in die fünfte Etage befördert wurde. Zu guter Letzt landete er auf dem Fußboden im wohlvertrauten halbdunklen Flur der Lichodejew’schen Wohnung.
Die Halunken verschwanden, dafür erschien nun im Flur ein splitternacktes Weib – rothaarig, mit glühenden Phosphoraugen.
Warenucha begriff: Das Allerschlimmste steht noch bevor. Er stöhnte und wich zurück zur Wand. Das Weib aber trat ganz nah an den Administrator heran und legte die Hände auf seine Schultern. Die Haare zu Berge, spürte er – selbst durch das triefende kalte Hemd – diese noch sehr viel kälteren Hände – diese eisigen, kalten Hände.
– Komm, lass dich mal küssen –, sagte das Weib mit zärtlicher Stimme, und vor Warenucha brannten jetzt lichterloh zwei Pupillen. Da fiel er in Ohnmacht und bekam den folgenden Kuss nicht mit.
Kapitel 11
Der doppelte Iwan
Das Wäldchen am anderen Flussufer, noch vor einer Stunde frühlinghaft sonnenbestrahlt, wurde trübe, verschmiert und löste sich auf.
Ein einziger dichter Nebelschleier, rauschte das Wasser hinter
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