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Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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ng er an zu trösten. Er sagte, der Mann werde ge-wiß schon bald wiederkommen. Die Frau sagte scharf:
    »Heut nicht und vielleicht auch morgen nicht.« Er gab es auf, die Frau setzte sich aufrechter, man saß schweigend, das Weinen war ver stummt. Die Einfachheit des Vorgangs, zu dem keine Worte gemacht wurden, schien ihm wundervoll. Man hatte Streit gehabt, man hatte 473
    Schmerz empfangen, man hatte geweint. Jetzt war es vorbei, jetzt saß man still und wartete. Das Leben wür-de schon weitergehen. Wie bei Kindern. Wie bei Tieren.
    Nur nicht reden, nur nicht das Einfache kompliziert machen, nur nicht die Seele nach außen drehen.
    Klein lud die Großmutter ein, Kaff ee zu kochen, für sie alle drei. Die Frauen leuchteten auf, die Alte legte sofort Rei sig in den Kamin, es knisterte von brechen-den Zweigen, von Papier, von aufprasselnder Flamme.
    Im jäh auffl
    ammenden Feuerschein sah er das Gesicht
    der Wirtin, von unten her be leuchtet, etwas vergrämt und doch beruhigt. Sie schaute ins Feuer, zwischenein lächelte sie, plötzlich stand sie auf, ging langsam zum Wasserhahn und wusch sich die Hände.
    Dann saßen sie alle drei am Küchentisch und tranken den heißen schwarzen Kaff ee, und einen alten Wachol-derlikör dazu. Die Weiber wurden lebendiger, sie er-zählten und frag ten, lachten über Kleins mühsame und fehlerhafte Sprache. Ihm schien, er sei schon sehr lange hier. Wunderlich, was in diesen Tagen alles Platz hatte!
    Ganze Zeiträume und Le bensabschnitte fanden Raum in einem Nachmittag, jede Stunde schien mit Lebens-fracht überladen. Sekundenlang zuckte Furcht in ihm wetterleuchtend auf, es könnte plötz lich Müdigkeit und Verbrauch der Lebenskraft ihn verhun dertfacht überfallen und ihn aussaugen, wie Sonne einen Tropfen vom Felsen leckt. In diesen sehr fl üchtigen, doch zuweilen wiederkehrenden Augenblicken, in diesem fremden 474
    Wetterleuchten sah er sich selbst leben, fühlte und sah in sein Gehirn und sah dort in beschleunigten Schwin-gungen einen unsäglich komplizierten, zarten, kostba-ren Apparat vor tau sendfacher Arbeit vibrieren, wie hinter Glas ein höchst sensi bles Uhrwerk, das zu stören ein Stäubchen genügt.
    Es wurde ihm erzählt, daß der Wirt sein Geld in unsichere Geschäfte stecke, viel außer Haus sei und da und dort Ver hältnisse mit Frauen unterhalte. Kinder waren nicht da. Während Klein sich Mühe gab, die italienischen Worte für einfache Fragen und Auskünfte zu fi nden, arbeitete hinterm Glas das zarte Uhrwerk rastlos in feinem Fieber fort, jeden gelebten Moment sofort in seine Abrechnungen und Abwä gungen einbeziehend.
    Zeitig erhob er sich, um schlafen zu gehen. Er gab den bei den Frauen die Hand, der alten und der jungen, die ihn durchdringend ansah, während die Großmutter mit dem Gähnen kämpfte. Dann tastete er sich die dunkle Steintreppe hinauf, erstaunlich hohe Riesen-stufen, in seine Kammer. Dort fand er Wasser in einem Tonkrug bereit, wusch sich das Gesicht, vermißte einen Augenblick Seife, Hausschuhe, Nachthemd, lag noch eine Viertelstunde im Fenster, auf das granitne Gesimse gestützt, zog sich dann vollends aus und legte sich in das harte Bett, dessen grobe Leinwand ihn ent
    zückte und einen Schwall von holden ländlichen
    Vorstellun gen weckte. War es nicht das einzig Richtige, stets so zu le ben, in einem Raum aus vier Stein-475
    wänden, ohne den lächerli chen Kram der Tapeten, des Schmucks, der vielen Möbel, ohne all das übertriebene und im Grunde barbarische Zube hör? Ein Dach überm Kopf, gegen den Regen, eine einfache Decke um sich, gegen die Kälte, etwas Brot und Wein oder Milch, gegen den Hunger, morgens die Sonne zum Wecken,
    abends die Dämmerung zum Einschlafen – brauchte der Mensch mehr?
    Aber kaum hatte er das Licht gelöscht, so waren Haus und Kammer und Dorf in ihm versunken. Er stand wieder am See bei Teresina und sprach mit ihr, konnte sich des heutigen Ge spräches nur mit Mühe erinnern und wurde zweifelhaft, was er ihr eigentlich gesagt habe, ja ob nicht das ganze Gespräch nur ein Traum und Phan-tom von ihm gewesen sei. Die Dun kelheit tat ihm wohl
    – weiß Gott, wo er morgen aufwachen würde?
    Ein Geräusch von der Tür her weckte ihn. Leise wurde die Klinke gedreht, ein Faden dünnen Lichtes sank herein und zögerte im Spalt. Verwundert und doch im Augenblick wis send, blickte er hinüber, noch nicht in der Gegenwart. Da ging die Türe auf, mit einem Licht in der Hand stand die Wirtsfrau, barfuß, lautlos. Sie

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