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Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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ihm ein und lateinische Sprichwörter, die ihn als Schü ler einst ergriff en hatten, und törichte sentimentale Verse aus Volkslie-dern. Der Schatten seines Vaters stand hinter ihm, er erlebte wieder den Tod seiner Schwiegermutter. Alles, was je durch Auge und Ohr, durch Menschen und Bü-
    cher, mit Wonne oder Leid in ihn eingegangen und in ihm untergesun ken war, alles schien wieder da zu sein, alles zugleich, aufge rührt und durcheinandergewirbelt, ohne Ordnung, doch vol ler Sinn, alles wichtig, alles be-deutungsvoll, alles unverlo ren.
    Der Andrang wurde zur Qual, zu einer Qual, die von höchster Wollust nicht zu unterscheiden war. Sein Herz schlug rasch, Tränen standen ihm in den Augen. Er begriff , daß er nahe am Wahnsinn stehe, und wußte doch, daß er nicht wahnsinnig werden würde, und blickte zu-467
    gleich in dies neue Seelenland des Irrsinns mit demselben Erstaunen und Entzücken wie in die Vergangenheit, wie in den See, wie in den Himmel: auch hier war alles zauberhaft, wohllaut und voll Bedeutung. Er begriff , warum im Glauben edler Völker der Wahnsinn für heilig galt. Er begriff alles, alles sprach zu ihm, alles war ihm erschlossen. Es gab keine Worte dafür, es war falsch und hoff nungslos, irgend etwas in Worten aus denken und verstehen zu wollen! Man mußte nur off enste hen, nur bereit sein: dann konnte jedes Ding, dann konnte in unendlichem Zug wie in eine Arche Noahs die ganze Welt in einen hineingehen, und man besaß sie, verstand sie und war eins mit ihr.
    Trauer ergriff ihn. Oh, wenn alle Menschen dies wüß-
    ten, dies erlebten! Wie wurde draufl os gelebt, draufl os gesündigt, wie blind und maßlos wurde gelitten! Hatte er nicht gestern noch sich über Teresina geärgert? Hatte er nicht gestern noch seine Frau gehaßt, sie angeklagt und für alles Leid seines Lebens verantwortlich machen wollen? Wie trau rig, wie dumm, wie hoff nungslos! Alles war doch so einfach, so gut, so sinnvoll, sobald man es von innen sah, sobald man hinter jedem Ding das Wesen stehen sah, ihn, Gott. Hier bog ein Weg zu neuen Vorstellungsgärten und Bil derwäldern ein. Wendete er sein heutiges Gefühl der Zu kunft zu, sprühten hundert Glücksträume auf, für ihn und für alle.
    Sein vergangenes, dumpfes, verdorbenes Leben sollte nicht beklagt, nicht angeklagt, nicht gerichtet wer-468
    den, son dern erneut und ins Gegenteil verwandelt, voll Sinn, voll Freude, voll Güte, voll Liebe. Die Gnade, die er erlebt, mußte widerstrahlen und weiterwirken. Bibel-sprüche kamen ihm in den Sinn, und alles, was er von begnadeten Frommen und Heiligen wußte. So hatte es immer begonnen, bei allen. Sie waren denselben harten und fi nstern Weg geführt worden wie er, feig und voll Angst, bis zur Stunde der Umkehr und Erleuchtung. ›In der Welt habet ihr Angst‹, hatte Jesus zu sei nen Jüngern gesagt. Wer aber die Angst überwunden hatte, der lebte nicht mehr in der Welt, sondern in Gott, in der Ewigkeit.
    So hatten alle gelehrt, alle Weisen der ganzen Welt, Buddha und Schopenhauer, Jesus, die Griechen. Es gab nur eine Weisheit, nur einen Glauben, nur ein Denken: das Wis sen von Gott in uns. Wie wurde das in den Schulen, Kirchen, Büchern und Wissenschaften verdreht und falsch gelehrt!
    Mit weiten Flügelschlägen fl og Kleins Geist durch die Be zirke seiner innern Welt, seines Wissens, seiner Bildung. Auch hier, wie in seinem äußern Leben, lag Gut um Gut, Schatz um Schatz, Quelle um Quelle, aber jedes für sich, ab gesondert, tot und wertlos. Nun aber, mit dem Strahl des Wissens, mit der Erleuchtung, zuckte auch hier plötzlich Ordnung, Sinn und Formung durch das Chaos, Schöpfung begann, Leben und Beziehung sprang von Pol zu Pol. Sprü che entlegenster Kontem-plation wurden selbstverständlich, Dunkles wurde hell, 469
    und das Einmaleins wurde zum mysti schen Bekenntnis. Beseelt und liebeglühend ward auch diese Welt.
    Die Kunstwerke, die er in jüngeren Jahren geliebt hatte, klangen mit neuem Zauber herauf. Er sah: die rätselhafte Magie der Kunst öff nete sich demselben Schlüssel.
    Kunst war nichts andres als Betrachtung der Welt im Zu stand der Gnade, der Erleuchtung. Kunst war: hinter jedem Ding Gott zeigen.
    Flammend schritt der Beseligte durch die Welt, jeder Zweig an jedem Baume hatte teil an einer Ekstase, strebte ed ler empor, hing inniger herab, war Sinnbild und Off enba rung. Dünne violette Wolkenschatten liefen über den See spiegel, schaudernd in zärtlicher Süße.
    Jeder Stein lag bedeu tungsvoll neben

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