Meistererzählungen
blickte zu ihm her, durchdrin gend, und er lächelte und streckte die Arme aus, tief erstaunt, gedankenlos. Da war sie schon bei ihm, und ihr dunkles Haar lag neben ihm auf dem rauhen Kissen.
Sie sprachen kein Wort. Von ihrem Kuß entzündet, zog er sie an sich. Die plötzliche Nähe und Wärme eines 476
Menschen an seiner Brust, der fremde starke Arm um seinen Nacken er schütterte ihn seltsam – wie war diese Wärme ihm unbe kannt, wie fremd, wie schmerzlich neu war ihm diese Wärme und Nähe – wie war er allein gewesen, wie sehr allein, wie lang allein! Abgründe und Flammenhöllen hatten zwischen ihm und aller Welt ge-klaff t – und nun war da ein fremder Mensch gekommen, in wortlosem Vertrauen und Trostbe dürfnis, eine arme, vernachlässigte Frau, so wie er selbst jah relang ein vernachlässigter und verschüchterter Mann gewe sen war, und hing an seinem Hals und gab und nahm und sog mit Gier den Tropfen Wonne aus dem kargen Leben, suchte trunken und doch schüchtern seinen Mund, spielte mit trau rig zärtlichen Fingern in den seinen, rieb ihre Wange an sei ner. Er richtete sich über ihrem blassen Gesichte auf und küßte sie auf beide geschlossene Augen und dachte: sie glaubt zu nehmen und weiß nicht, daß sie gibt, sie fl üchtete ihre Vereinsamung zu mir und ahnt die meine nicht! Erst jetzt sah er sie, neben der er den ganzen Abend blind geses sen hatte, sah, daß sie lange, schlanke Hände und Finger hatte, hübsche Schultern und ein Gesicht voll von Schicksals angst und blindem Kinderdurst, und ein halb ängstliches Wis sen um kleine, holde Wege und Übungen der Zärtlichkeit.
Er sah auch und wurde traurig darüber, daß er selbst in der Liebe ein Knabe und Anfänger geblieben war, in langer, lauer Ehe resigniert, schüchtern und doch ohne Unschuld, begehrlich und doch voll von schlechtem 477
Gewissen. Noch während er mit durstigen Küssen an Mund und Brust des Weibes hing, noch während er ihre Hand zärtlich und fast mütterlich auf seinen Haaren fühlte, empfand er im voraus Enttäuschung und Druck im Herzen, er fühlte das Schlimme wiederkommen: die Angst, und es durchfl oß ihn schneidend kalt die Ahnung und Furcht, daß er tief in seinem Wesen nicht zur Liebe fähig sei, daß Liebe ihm nur Qual und bösen Zauber bringen könne. Noch ehe der kurze Sturm der Wol lust vertobt war, schlug in seiner Seele Bangigkeit und Miß-
trauen das böse Auge auf, Widerwille dagegen, daß er ge nommen worden sei, statt selbst zu nehmen und zu erobern, und Vorgefühl von Ekel.
Lautlos war die Frau wieder davongeschlüpft, samt ihrem Kerzenlicht. Im Dunkeln lag Klein, und es kam mitten in der Sättigung der Augenblick, den er schon vorher, schon vor Stunden in so viel ahnenden wetter-leuchtenden Sekunden gefürchtet, der schlimme Augenblick, wo die überreiche Mu sik seines neuen Lebens in ihm nur noch müde und ver stimmte Saiten fand und tausend Lustgefühle plötzlich mit Müdigkeit und Angst bezahlt werden mußten. Mit Herz klopfen fühlte er alle Feinde auf der Lauer liegen, Schlafl o sigkeit, Depression und Alpdruck. Das rauhe Linnen brannte an seiner Haut, bleich sah die Nacht durchs Fenster. Unmög lich, hierzubleiben und wehrlos den kommenden Qualen
standzuhalten! Ach, es kam wieder, die Schuld und Angst ka men wieder und die Traurigkeit und die Ver-478
zweifl ung! Alles Überwundene, alles Vergangene kam wieder. Es gab keine Erlösung.
Hastig kleidete er sich an, ohne Licht, suchte vor der Tür seine staubigen Stiefel, schlich hinab und aus dem Hause und lief, auf müden, einsinkenden Beinen, verzweifelt durch Dorf und Nacht davon, von sich selbst verhöhnt, von sich selbst verfolgt, von sich selbst ge-haßt.
Ringend und verzweifelnd schlug sich Klein mit seinem Dämon. Was ihm seine Schicksalstage an Neuem, an Er kenntnis und Erlösung gebracht hatten, war in der trunke nen Gedankenhast und Hellsichtigkeit des vergangenen Ta ges zu einer Welle gestiegen, deren Höhe ihm unverlierbar erschienen war, während er schon wieder aus ihr zu sinken begann. Jetzt lag er wieder im Tal und Schatten, noch kämp fend, noch heimlich hof-fend, aber tief verwundet. Einen Tag lang, einen kurzen, glänzenden Tag lang war es ihm gelun gen, die einfache Kunst zu üben, die jeder Grashalm kann. Einen armen Tag lang hatte er sich selbst geliebt, sich selbst als Eines und Ganzes gefühlt, nicht in feindliche Teile zer spalten, er hatte sich geliebt, und in sich die Welt und Gott, und nichts als Liebe,
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