Meistererzählungen
Liebende, Religiöse.
Andre sah er, gleich ihm selbst, rasch und leicht in inniger Wollust der Hingabe, des Einverstandenseins dahin-getrieben, Selige wie er. Aus dem Gesang der Seligen und aus dem endlosen Qualschrei der Unseligen baute sich über den beiden Weltströmen eine durchsichtige Kugel oder Kuppel aus Tönen, ein Dom von Musik, in dessen Mitte saß Gott, saß ein heller, vor Helle un sichtbarer Glanzstern, ein Inbegriff von Licht, umbraust von der Musik der Weltchöre, in ewiger Brandung.
Helden und Denker traten aus dem Weltstrom,
Prophe ten, Verkünder. ›Siehe, das ist Gott der Herr, und sein Weg führt zum Frieden‹, rief einer, und viele folgten ihm. Ein andrer verkündete, daß Gottes Bahn zum Kampf und Kriege führe. Einer nannte ihn Licht, einer nannte ihn Nacht, einer Vater, einer Mutter. Einer pries ihn als Ruhe, einer als Bewe gung, als Feuer, als Kühle, als Richter, als Tröster, als Schöp fer, als Vernichter, als Verzeiher, als Rächer. Gott selbst nannte sich nicht. Er wollte genannt, er wollte geliebt, er wollte gepriesen, 517
verfl ucht, gehaßt, angebetet sein, denn die Musik der Weltchöre war sein Gotteshaus und war sein Le ben
– aber es galt ihm gleich, mit welchen Namen man ihn pries, ob man ihn liebte oder haßte, ob man bei ihm Ruhe und Schlaf, oder Tanz und Raserei suchte. Jeder konnte su chen. Jeder konnte fi nden.
Jetzt vernahm Klein seine eigene Stimme. Er sang.
Mit ei ner neuen, gewaltigen, hellen, hallenden Stimme sang er laut, sang er laut und hallend Gottes Lob, Gottes Preis. Er sang im rasenden Dahinschwimmen, inmitten der Millionen Ge schöpfe, ein Prophet und Verkünder.
Laut schallte sein Lied, hoch stieg das Gewölbe der Töne auf, strahlend saß Gott im Innern. Ungeheuer brausten die Ströme hin.
(1919)
Die Fremdenstadt im Süden
Diese Stadt ist eine der witzigsten und einträglichsten Un ternehmungen modernen Geistes. Ihre Entstehung und Ein richtung beruht auf einer genialen Synthese, wie sie nur von sehr tiefen Kennern der Psychologie des Großstädters aus
gedacht werden konnte, wenn
man sie nicht geradezu als eine direkte Ausstrahlung der Großstadtseele, als deren ver wirklichten Traum bezeichnen will. Denn diese Gründung realisiert in idealer Vollkommenheit alle Ferien- und Natur wünsche jeder durchschnittlichen Großstädterseele. Be kanntlich schwärmt der Großstädter für nichts so sehr wie für Natur, für Idylle, Friede und Schönheit. Bekanntlich aber sind alle diese schönen Dinge, die er so sehr begehrt und von welchen bis vor kurzem die Erde noch übervoll war, ihm völ lig unbekömmlich, er kann sie nicht vertragen.
Und da er sie nun dennoch haben will, da er sich die Natur nun einmal in den Kopf gesetzt hat, so hat man ihm hier, wie es koff ein freien Kaff ee und nikotinfreie Zigaretten gibt, eine natur freie, eine gefahrlose, hygienische, denaturierte Natur aufge baut. Und bei alledem war jener oberste Grundsatz des mo dernen Kunstgewerbes maßgebend, die Forderung nach ab soluter ›Echtheit‹.
Mit Recht betont ja das moderne Gewerbe diese Forderung, welche in früheren Zeiten nicht bekannt war, weil damals jedes Schaf in der Tat ein echtes Schaf war und echte Wolle gab, jede Kuh echt war und echte Milch gab 519
und künstliche Schafe und Kühe noch nicht erfunden waren. Nachdem sie aber erfunden waren und die echten nahezu verdrängt hatten, wurde in Bälde auch das Ideal der Echtheit erfunden. Die Zeiten sind vorüber, wo naive Fürsten sich in irgendeinem deutschen Tälchen künstliche Ruinen, eine nachgemachte Einsiedelei, eine kleine unechte Schweiz, ei nen imitierten Posilipo bauen ließen. Fern liegt heutigen Un ternehmern der absurde Gedanke, dem großstädtischen Kenner etwa ein Italien in der Nähe Londons, eine Schweiz bei Chemnitz, ein Sizilien am Bodensee vortäuschen zu wol len. Der Naturersatz, den der heutige Städter verlangt, muß un-bedingt echt sein, echt wie das Silber, mit dem er tafelt, echt wie die Perlen, die seine Frau trägt, und echt wie die Liebe zu Volk und Republik, die er im Busen hegt.
Dies alles zu verwirklichen, war nicht leicht. Der wohlha
bende Großstädter verlangt für den Frühling
und Herbst ei nen Süden, der seinen Vorstellungen und Bedürfnissen ent spricht, einen echten Süden mit Palmen und Zitronen, blaue Seen, malerische Städtchen, und dies alles war ja leicht zu ha ben. Er verlangt aber auch außerdem Gesellschaft, verlangt Hygiene und Sauberkeit, verlangt
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