Meistererzählungen
ist frisch gefegt und gespritzt, überall werden Galanteriewa ren und Erfrischungen angeboten. Im Hotel Bristol wohnt der frühere Präsident von Frankreich und im Parkhotel der deutsche Reichskanzler, man geht in elegante Cafés und triff t da die Bekannten aus Berlin, Frankfurt und München an, man liest 523
die heimatlichen Zeitungen und ist aus dem Operetten-Italien der Altstadt wieder in die gute, solide Luft der Heimat getreten, der Großstadt, man drückt frischgewa-schene Hände, lädt einander zu Erfrischungen ein, ruft zwi schenein am Telephon die heimatlichen Firmen an, bewegt sich nett und angeregt zwischen netten, gutge-kleideten, ver
gnügten Menschen. Auf Hotelterrassen
hinter Säulenbalu straden und Oleanderbäumen sitzen berühmte Dichter und starren mit sinnendem Auge auf den Spiegel des Sees, zuwei len empfangen sie Vertreter der Presse, und bald erfährt man, an welchem Werk dieser und jener Meister nun arbei tet. In einem feinen, kleinen Restaurant sieht man die belieb teste Schauspielerin der heimatlichen Großstadt sitzen, sie trägt ein Kostüm, das ist wie ein Traum, und füttert einen Pe kinghund mit Dessert. Auch sie ist entzückt von der Natur und oft bis zur Andacht gerührt, wenn sie abends in Nr. 178 des Pa-lace-Hotels ihr Fenster öff net und die endlose Reihe der schimmernden Lichter sieht, die sich dem Ufer entlang zieht und träumerisch jenseits der Bucht verliert.
Sanft und befriedigt wandelt man auf der Promena-de, Müllers aus Darmstadt sind auch da, und man hört, daß morgen ein italienischer Tenor im Kursaal auftreten wird, der einzige, der sich nach Caruso wirklich hören lassen kann. Man sieht gegen Abend die Dampferchen heimkehren, mu stert die Aussteigenden, triff t wieder Bekannte, bleibt eine Weile vor einem Schaufenster voll alter Möbel und Sticke reien stehen, dann wird es kühl, 524
und nun kehrt man ins Hotel zurück, hinter die Wän-de von Beton und Glas, wo der Spei sesaal schon von Porzellan, Glas und Silber funkelt und wo nachher ein kleiner Ball stattfi nden wird. Musik ist ohnehin schon da, kaum hat man Abendtoilette gemacht, so wird man schon vom süßen, wiegenden Klang empfangen.
Vor dem Hotel erlischt langsam im Abend die Blumen-pracht. Da stehen in Beeten, zwischen Betonmauern dicht und bunt die blühendsten Gewächse, Kamelien und Rhodo
dendren, hohe Palmen dazwischen, alles
echt, und voll dicker kühlblauer Kugeln die fetten Hor-tensien. Morgen fi ndet eine große Gesellschaftsfahrt nach -aggio statt, auf die man sich freut. Und sollte man morgen aus Versehen statt nach -aggio an irgendeinen anderen Ort gelangen, nach -iggio oder -ino, so schadet das nichts, denn man wird dort ganz genau die gleiche Idealstadt antreff en, denselben See, densel ben Kai, dieselbe malerisch-drollige Altstadt und dieselben guten Hotels mit den hohen Glaswänden, hinter welchen uns die Palmen beim Essen zuschauen, und dieselbe gute weiche Musik und all das, was so zum Leben des Städters gehört, wenn er es gut haben will.
(1925)
Bei den Massageten
So sehr auch ohne Zweifel mein Vaterland, falls ich wirklich ein solches hätte, alle übrigen Länder der Erde an An nehmlichkeiten und herrlichen Einrichtungen überträfe, spürte ich vor kurzem doch wieder einmal Wan-derlust und tat eine Reise in das ferne Land der Massageten, wo ich seit der Erfi ndung des Schießpulvers nie mehr gewesen war. Es gelüstete mich, zu sehen, inwie-weit dieses so berühmte und tapfere Volk, dessen Krieger einst den großen Cyrus über wunden haben, sich inzwischen verändert und den Sitten der jetzigen Zeit möchte angepaßt haben.
Und in der Tat, ich hatte in meinen Erwartungen die wackeren Massageten keineswegs überschätzt. Gleich allen Län
dern, welche zu den vorgeschritteneren zu
zählen den Ehr geiz haben, sendet auch das Land der Massageten neuer dings jedem Fremdling, der sich seiner Grenze nähert, einen Reporter entgegen – abgesehen natürlich von jenen Fällen, in denen es bedeutende, ehrwürdige und distinguierte Fremde sind, denn ihnen wird, je nach Rang, selbstverständlich weit mehr Ehre erwiesen. Sie werden, wenn sie Boxer oder Fuß ballmeister sind, vom Hygieneminister, wenn sie Wett schwimmer sind, vom Kultusminister, und wenn sie Inhaber eines Weltrekords sind, vom Reichspräsidenten oder von dessen Stellvertreter empfangen. Nun, mir blieb es erspart, solche Aufmerksamkeiten auf mich gehäuft zu sehen, 526
ich war Literat, und so kam mir denn ein einfacher
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