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Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Stadtatmosphäre, verlangt Musik, Technik, Eleganz, er erwartet eine dem Menschen restlos unterworfene und von ihm umgestaltete Natur, eine Natur, die ihm zwar Reize und Illusionen gewährt, aber lenkbar ist und nichts von ihm verlangt, in die er sich mit al len seinen großstädtischen Gewohnheiten, 520
    Sitten und An sprüchen bequem hineinsetzen kann. Da nun die Natur das Unerbittlichste ist, was wir kennen, scheint das Erfüllen sol cher Ansprüche nahezu unmöglich; aber menschlicher Tat kraft ist bekanntlich nichts unmöglich. Der Traum ist er füllt.
    Die Fremdenstadt im Süden konnte natürlich nicht in ei nem einzigen Exemplar hergestellt werden. Es wurden drei ßig oder vierzig solche Idealstädte gemacht, an jedem irgend geeigneten Ort sieht man eine stehen, und wenn ich eine die ser Städte zu schildern versuche, ist es natürlich nicht diese oder jene, sie trägt keinen Ei-gennamen, so wenig wie ein Ford-Automobil, sie ist ein Exemplar, ist eine von vielen.
    Zwischen langhin gedehnten, sanft geschwungenen Kai mauern liegt mit kleinen, kurzen Wellchen ein See aus blauem Wasser, an dessen Rand fi ndet der Naturge-nuß statt. Am Ufer schwimmen unzählige kleine Ruder-boote mit far big gestreiften Sonnendächern und bunten Fähnchen, ele gante hübsche Boote mit kleinen netten Kissen und sauber wie Operationstische. Ihre Besitzer gehen auf dem Kai auf und nieder und bieten allen Vor-
    übergehenden unaufhörlich ihre Schiff chen zum Mie-ten an. Diese Männer gehen in ma trosenähnlichen An-zügen mit bloßer Brust und bloßen brau nen Armen, sie sprechen echtes Italienisch, sind jedoch imstande, auch in jeder anderen Sprache Auskunft zu geben, sie haben leuchtende Südländeraugen, rauchen lange, dünne Zigarren und wirken malerisch.

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    Längs dem Ufer schwimmen die Boote, längs dem
    Seerand läuft die Seepromenade, eine doppelte Straße, der seewärts gekehrte Teil unter sauber geschnittenen Bäumen ist den Fußgängern reserviert, der innere Teil ist eine blendende und heiße Verkehrsstraße, voll von Ho-telomnibussen, Autos, Trambahnen und Fuhrwerken.
    An dieser Straße steht die Fremdenstadt, welche eine Dimension weniger hat als andere Städte, sie erstreckt sich nur in die Länge und Höhe, nicht in die Tiefe. Sie besteht aus einem dichten, stolzen Gürtel von Hotelge-bäuden. Hinter diesem Gürtel aber, eine nicht zu über-sehende Attraktion, fi ndet der echte Süden statt, dort nämlich steht tatsächlich ein altes italienisches Städtchen, wo auf engem, stark riechendem Markt Gemüse, Hühner und Fische verkauft werden, wo barfüßige Kinder mit Konser venbüchsen Fußball spielen und Mütter mit fl iegenden Haa ren und heftigen Stimmen die wohl-lautenden klassischen Namen ihrer Kinder ausbrüllen.
    Hier riecht es nach Salami, nach Wein, nach Abtritt, nach Tabak und Handwerken, hier stehen in Hemdsärmeln joviale Männer unter off enen La dentüren, sitzen Schuhmacher auf off ener Straße, das Leder klopfend, alles echt und sehr bunt und originell, es könnte auf dieser Szene jederzeit der erste Akt einer Oper beginnen. Hier sieht man die Fremden mit großer Neugierde Entdeckungen machen und hört häufi g von Gebildeten verständnis volle Äußerungen über die fremde Volks-seele. Eishändler fahren mit kleinen rasselnden Karren 522
    durch die engen Gas sen und brüllen ihre Näschereien aus, da und dort beginnt in einem Hofe oder auf einem Plätzchen ein Drehklavier zu spielen. Täglich bringt der Fremde in dieser kleinen, schmut zigen und interessanten Stadt eine Stunde oder zwei zu, kauft Strohfl echte-reien und Ansichtskarten, versucht Italie nisch zu sprechen und sammelt südliche Eindrücke. Hier wird auch sehr viel photographiert.
    Noch weiter entfernt, hinter dem alten Städtchen, liegt das Land, da liegen Dörfer und Wiesen, Weinberge und Wälder, die Natur ist dort noch, wie sie immer war, wild und unge schliff en, doch bekommen die Fremden davon wenig zu se hen, denn wenn sie je und je in Auto-mobilen durch diese Natur fahren, sehen sie die Wiesen und Dörfer genauso ver staubt und feindselig am Rand der Autostraße liegen wie überall.
    Bald kehrt daher der Fremde von solchen Exkursionen wieder in die Idealstadt zurück. Dort stehen die großen, vielstöckigen Hotels, von intelligenten Direktoren geleitet, mit wohlerzogenem, aufmerksamem Personal. Dort fahren nied liche Dampfer über den See und elegante Wagen auf der Straße, überall tritt der Fuß auf Asphalt und Zement, überall

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