Meistererzählungen
Schuljunge, und daß sie morgen abreisen würde.
Da klang – der Gesang war schon eine Weile ver-
stummt – die helltönige Tischglocke, und Paul ging langsam zum Hause hinüber. Vor der Türe wischte er sich die Regentrop fen von den Händen, strich das Haar zurück und tat einen tiefen Atemzug, als sei er im Begriff , einen schweren Schritt zu tun.
»Ach, nun regnet es doch schon«, klagte Berta. »Nun wird also nichts daraus?«
»Aus was denn?« fragte Paul, ohne vom Teller aufzublicken.
»Wir hatten doch – Sie hatten mir versprochen, mich heut auf den Eichelberg zu führen.«
»Ja so. Nein, das geht bei dem Wetter freilich nicht.«
Halb sehnte sie sich danach, er möchte sie ansehen und eine Frage nach ihrem Wohlsein tun, halb war sie froh, daß er’s nicht tat. Er hatte den peinlichen Augenblick unter der Weide, da sie in Tränen ausgebrochen war, völlig vergessen. Dieser plötzliche Ausbruch hatte ihm ohnehin wenig Ein druck gemacht und ihn nur in dem Glauben bestärkt, sie sei doch noch ein recht klei-80
nes Mädchen. Statt auf sie zu achten, schielte er beständig zu Fräulein Th
usnelde hinüber.
Diese führte mit dem Hauslehrer, der sich seiner albernen Rolle von gestern schämte, ein lebhaftes Gespräch über Sportsachen. Es ging Herrn Homburger dabei wie vielen Leuten; er sprach über Dinge, von denen er nichts verstand, viel gefälliger und glatter als über solche, die ihm vertraut und wichtig waren. Meistens hatte die Dame das Wort, und er begnügte sich mit Fragen, Nicken, Zustimmen und pau senfüllenden Redensarten.
Die etwas kokette Plauderkunst der jungen Dame ent-hob ihn seiner gewohnten dickblütigen Art; es gelang ihm sogar, als er beim Weineinschenken danebengoß, selber zu lachen und die Sache leicht und komisch zu nehmen. Seine mit Schlauheit eingefädelte Bitte jedoch, dem Fräulein nach Tisch ein Kapitel aus einem seiner Lieblingsbücher vorlesen zu dürfen, wurde zierlich abge-lehnt.
»Du hast kein Kopfweh mehr, Kind?« fragte Tante Grete.
»O nein, gar nimmer«, sagte Berta halblaut. Aber sie sah noch elend genug aus.
»O ihr Kinder!« dachte die Tante, der auch Pauls erregte Unsicherheit nicht entgangen war. Sie hatte man-cherlei Ah nungen und beschloß, die zwei jungen Leutchen nicht unnö tig zu stören, wohl aber aufmerksam zu sein und Dummhei ten zu verhüten. Bei Paul war es das erstemal, dessen war sie sicher. Wie lang noch, und er 81
würde ihrer Fürsorge entwach sen sein und seine Wege ihrem Blick entziehen! – O ihr Kin der!
Draußen war es beinahe fi nster geworden. Der Regen rann und ließ nach mit den wechselnden Windstößen, das Gewitter zögerte noch, und der Donner klang noch meilen fern.
»Haben Sie Furcht vor Gewittern?« fragte Herr Hombur ger seine Dame.
»Im Gegenteil, ich weiß nichts Schöneres. Wir könnten nachher in den Pavillon gehen und zusehen. Kommst du mit, Berta?«
»Wenn du willst, ja, gern.«
»Und Sie also auch, Herr Kandidat? – Gut, ich freue mich darauf. Es ist in diesem Jahr das erste Gewitter, nicht?«
Gleich nach Tisch brachen sie mit Regenschirmen auf, zum nahen Pavillon. Berta nahm ein Buch mit.
»Willst du dich denen nicht anschließen, Paul?«
ermun terte die Tante.
»Danke, nein. Ich muß eigentlich üben.«
Er ging in einem Wirrwarr von quellenden Gefühlen ins Klavierzimmer. Aber kaum hatte er zu spielen begonnen, er wußte selbst nicht was, so kam sein Vater herein.
»Junge, könntest du dich nicht um einige Zimmer weiter verfügen? Brav, daß du üben wolltest, aber alles hat seine Zeit, und wir älteren Semester möchten bei dieser Schwüle doch gern ein wenig zu schlafen versuchen. Auf Wiederse hen, Bub!«
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Der Knabe ging hinaus und durchs Eßzimmer, über den Gang und zum Tor. Drüben sah er gerade die andern den Pavillon betreten. Als er hinter sich den leisen Schritt der Tante hörte, trat er rasch ins Freie und eilte mit unbedecktem Kopf, die Hände in den Taschen, durch den Regen davon. Der Donner nahm stetig zu, und erste scheue Blitze rissen zuckend durch das schwärzliche Grau.
Paul ging um das Haus herum und gegen den Wei-
her hin. Er fühlte mit trotzigem Leid den Regen durch seine Kleider dringen. Die noch nicht erfrischte, schwebende Luft erhitzte ihn, so daß er beide Hände und die halbentblößten Arme in die schwer fallenden Tropfen hielt. Nun saßen die andern vergnügt im Pavillon beisammen, lachten und schwatzten, und an ihn dachte niemand. Es zog ihn hinüber, doch über wog
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