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Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Schwüle war im Zunehmen, das Wetter leuchten zitterte beständig an den Wänden. Zuweilen glaubte er es in weiter Ferne leise donnern zu hö-
    ren. In lan gen Pausen kam und ging ein schlaff er Wind, der kaum die Wipfel rauschen machte.
    Der Knabe überdachte halb träumend den vergangenen Abend und fühlte, daß er heute anders gewesen sei als sonst. Er kam sich erwachsener vor, vielmehr schien ihm die Rolle des Erwachsenen heute besser geglückt als bei früheren Ver suchen. Mit dem Fräulein hatte er sich doch ganz fl ott unter halten und nachher auch mit Berta.
    Es quälte ihn, ob Th
    usnelde ihn ernstgenommen
    habe. Vielleicht hatte sie eben doch nur mit ihm gespielt.
    Und das mit dem Kuß der Praxedis mußte er morgen nachlesen. Ob er das wirklich nicht verstanden oder nur vergessen hatte?
    Er hätte gern gewußt, ob Fräulein Th
    usnelde wirklich
    schön sei, richtig schön. Es schien ihm so, aber er traute 70
    we der sich noch ihr. Wie sie da beim schwachen Lampenlicht im Stuhl halb saß und halb lag, so schlank und ruhig, mit der auf dem Boden niederhängenden Hand, das hatte ihm gefallen. Wie sie lässig nach oben schaute, halb vergnügt und halb müde, und der weiße schlanke Hals – im hellen, langen Da menkleid –, das könnte geradeso auf einem Gemälde vor kommen. Freilich, Berta war ihm entschieden lieber. Sie war ja vielleicht ein wenig sehr naiv, aber sanft und hübsch, und man konnte doch mit ihr reden ohne den Argwohn, sie ma che sich heimlich über einen lustig. Wenn er es von Anfang an mit ihr gehalten hätte, statt erst im letzten Augenblick, dann könnten sie möglicherweise jetzt schon ganz gute Freunde sein. Überhaupt begann es ihm jetzt leid zu tun, daß die Gäste nur zwei Tage bleiben wollten. Aber warum hatte ihn, als er beim Heimgehen mit der Berta lachte, die andere so angesehen?
    Er sah sie wieder an sich vorbeigehen und den
    Kopf um wenden, und er sah wieder ihren Blick. Sie war doch schön. Er stellte sich alles wieder deutlich vor, aber er kam nicht darüber hinweg – ihr Blick war spöttisch gewesen, überlegen spöttisch. Warum? Noch wegen des ›Ekkehard‹? Oder weil er mit der Berta gelacht hatte?
    Der Ärger darüber folgte ihm noch in den Schlaf. Am Morgen war der ganze Himmel bedeckt, doch hatte es noch nicht geregnet. Es roch überall nach Heu und nach warmem Erdstaub.

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    »Schade«, klagte Berta beim Herunterkommen, »man wird heute keinen Spaziergang machen können?«
    »Oh, es kann sich noch den ganzen Tag halten«, trö-
    stete Herr Abderegg.
    »Du bist doch sonst nicht so eifrig fürs Spazierengehen«, meinte Fräulein Th
    usnelde.
    »Aber wenn wir doch nur so kurz hier sind!«
    »Wir haben eine Luftkegelbahn«, schlug Paul vor.
    »Im Garten. Auch ein Krocket. Aber Krocket ist langweilig.«
    »Ich fi nde Krocket sehr hübsch«, sagte Fräulein Th usnelde.
    »Dann können wir ja spielen.«
    »Gut, nachher. Wir müssen doch erst Kaff ee trinken.«
    Nach dem Frühstück gingen die jungen Leute in den Gar ten; auch der Kandidat schloß sich an. Fürs Krocket-spielen fand man das Gras zu hoch, und man entschloß sich nun doch zu dem andern Spiel. Paul schleppte eifrig die Kegel herbei und stellte auf.
    »Wer fängt an?«
    »Immer der, der fragt.«
    »Also gut. Wer spielt mit?«
    Paul bildete mit Th
    usnelde die eine Partei. Er spielte
    sehr gut und hoff te, von ihr dafür gelobt oder auch nur geneckt zu werden. Sie sah es aber gar nicht und schenkte überhaupt dem Spiel keine Aufmerksamkeit. Wenn Paul ihr die Kugel gab, schob sie unachtsam und zählte nicht einmal, wieviel Kegel fi elen. Statt dessen unter-72
    hielt sie sich mit dem Haus lehrer über Turgenjew. Herr Homburger war heute sehr höfl ich. Nur Berta schien ganz beim Spiel zu sein. Sie half stets beim Aufsetzen und ließ sich von Paul das Zielen zeigen.
    »König aus der Mitte!« schrie Paul. »Fräulein, nun gewin nen wir sicher. Das gilt zwölf.«
    Sie nickte nur.
    »Eigentlich ist Turgenjew gar kein richtiger Russe«, sagte der Kandidat und vergaß, daß es an ihm war zu spielen. Paul wurde zornig.
    »Herr Homburger, Sie sind dran!«
    »Ich?«
    »Ja doch, wir warten alle.«
    Er hätte ihm am liebsten die Kugel ans Schienbein ge schleudert. Berta, die seine Verstimmung bemerkte, wurde nun auch unruhig und traf nichts mehr.
    »Dann können wir ja aufhören.«
    Niemand hatte etwas dagegen. Fräulein Th
    usnelde
    ging langsam weg, der Lehrer folgte ihr. Paul warf verdrießlich die noch stehenden Kegel mit

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