Meistererzählungen
sein Trotz; hatte er einmal nicht mitkommen wollen, so wollte er ihnen auch nicht hinterdrein nachlaufen. Und Th usnelde hatte ihn ja überhaupt nicht aufgefordert. Sie hatte Berta und Herrn Homburger mitkommen heißen und
ihn nicht. Warum ihn nicht?
Ganz durchnäßt kam er, ohne auf den Weg zu achten, ans Gärtnerhäuschen. Die Blitze jagten jetzt fast ohne Pause herab und quer durch den Himmel in phantastisch kühnen Linien, und der Regen rauschte lauter.
Unter der Holztreppe des Gärtnerschuppens klirrte es auf, und mit verhaltenem Grollen kam der große Hofhund heraus. Als er Paul er kannte, drängte er sich 83
fröhlich und schmeichelnd an ihn. Und Paul, in plötzlich überwallender Zärtlichkeit, legte ihm den Arm um den Hals, zog ihn in den dämmernden Treppen winkel zurück und blieb dort bei ihm kauern und sprach und koste mit ihm, er wußte nicht wie lang.
Im Pavillon hatte Herr Homburger den eisernen
Garten tisch an die gemauerte Rückwand geschoben, die mit einer italienischen Küstenlandschaft bemalt war. Die heiteren Farben, Blau, Weiß und Rosa, paß-
ten schlecht in das Regengrau und schienen trotz der Schwüle zu frieren.
»Sie haben schlechtes Wetter für Erlenhof«, sagte Herr Homburger.
»Warum? Ich fi nde das Gewitter prächtig.«
»Und Sie auch, Fräulein Berta?«
»Oh, ich sehe es ganz gerne.« Es machte ihn wütend, daß die Kleine mitgekommen war. Gerade jetzt, wo er anfi ng, sich mit der schönen Th
usnelde besser zu ver-
stehen.
»Und morgen werden Sie wirklich schon wieder reisen?«
»Warum sagen Sie das so tragisch?«
»Es muß mir doch leid tun.«
»Wahrhaftig?«
»Aber gnädiges Fräulein –«
Der Regen prasselte auf dem dünnen Dach und quoll in leidenschaftlichen Stößen aus den Mündungen der Trau fen.
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»Wissen Sie, Herr Kandidat, Sie haben da einen lieben Jungen zum Schüler. Es muß ein Vergnügen sein, so einen zu unterrichten.«
»Ist das Ihr Ernst?«
»Aber gewiß. Er ist doch ein prächtiger Junge. – Nicht, Berta?«
»Oh, ich weiß nicht, ich sah ihn ja kaum.«
»Gefällt er dir denn nicht?«
»Ja, das schon. – O ja.«
»Was stellt das Wandbild da eigentlich vor, Herr Kandi dat? Es scheint eine Rivieravedute?«
Paul war nach zwei Stunden ganz durchnäßt und todmüde heimgekommen, hatte ein kaltes Bad genommen und sich umgekleidet.
Dann wartete er, bis die drei ins Haus zurückkehrten, und als sie kamen und als Th
usneldes Stimme im Gang
laut wurde, schrak er zusammen und bekam Herzklopfen. Den noch tat er gleich darauf etwas, wozu er sich selber noch ei nen Augenblick zuvor den Mut nicht zugetraut hätte.
Als das Fräulein allein die Treppe heraufstieg, lauerte er ihr auf und überraschte sie in dem oberen Flur. Er trat auf sie zu und streckte ihr einen kleinen Rosenstrauß entgegen. Es waren wilde Heckenröschen, die er im Regen draußen abge schnitten hatte.
»Ist das für mich?« fragte Th
usnelde.
»Ja, für Sie.« – »Womit hab ich denn das verdient? Ich fürchtete schon, Sie könnten mich gar nicht leiden.«
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»Oh, Sie lachen mich ja nur aus.«
»Gewiß nicht, lieber Paul. Und ich danke schön für die Blumen. Wilde Rosen, nicht?«
»Hagrosen.«
»Ich will eine davon anstecken, nachher.«
Dann ging sie weiter nach ihrem Zimmer.
Am Abend blieb man diesmal in der Halle sitzen.
Es hatte schön abgekühlt, und draußen fi elen noch die Tropfen von den blankgespülten Zweigen. Man hatte im Sinn gehabt zu musizieren, aber der Professor wollte lieber die paar Stunden noch mit Abderegg verplaudern.
So saßen nun alle bequem in dem großen Raum, die Herren rauchten, und die jungen Leute hatten Limona-denbecher vor sich stehen.
Die Tante sah mit Berta ein Album an und erzählte ihr alte Geschichten. Th
usnelde war guter Laune und
lachte viel. Den Hauslehrer hatte das lange erfolglose Reden im Pavil lon stark mitgenommen, er war wieder nervös und zuckte lei dend mit den Gesichtsmuskeln.
Daß sie jetzt so lächerlich mit dem Büblein Paul koket-tierte, fand er geschmacklos, und er suchte wählerisch nach einer Form, ihr das zu sagen.
Paul war der lebhafteste von allen. Daß Th
usnelde
seine Rosen im Gürtel trug und daß sie »lieber Paul‹ zu ihm gesagt hatte, war ihm wie Wein zu Kopf gestiegen.
Er machte Witze, erzählte Geschichten, hatte glühende Backen und ließ den Blick nicht von seiner Dame, die sich seine Huldigung so graziös gefallen ließ. Dabei 86
rief es im Grund seiner Seele ohne Unterlaß: ›Morgen
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