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Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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aus. Im glashellen Flusse wedelte mit langen, wallen den Bewegungen das dichte bärtige Seegras, dazwischen in dunkeln, mir genau bekannten Lücken stand da und dort vereinzelt ein dik-ker Fisch träge und regungslos, die Schnauze gegen die Strömung gerichtet, und obenhin jagten zuweilen in kleinen dunklen Schwärmen die jungen Weißfi sche hin.
    Ich sah, daß es gut gewesen war, diesen Morgen nicht zum Angeln zu gehen, aber die Luft und das Wasser und die Art, wie zwischen zwei großen runden Steinen eine dunkle alte Barbe ausruhend im klaren Wasser stand, sagte mir verheißungsvoll, es werde heut am Nachmittag wahr scheinlich etwas zu fangen sein. Ich merkte es mir und ging weiter und atmete tief auf, als ich von der blendenden Straße durch die Einfahrt in den kellerkühlen Flur unseres Hauses trat.
    »Ich glaube, wir werden heute wieder ein Gewitter haben«, sagte bei Tische mein Vater, der ein zartes Wet-tergefühl be saß. Ich wandte ein, daß kein Wölkchen am Himmel und kein Hauch von Westwind zu spüren sei, aber er lächelte und sagte: »Fühlst du nicht, wie die Luft gespannt ist? Wir wer den sehen.«
    Es war allerdings schwül genug, und der Abwasserkanal roch heftig wie bei Föhnbeginn. Ich spürte von dem Klettern und von der eingeatmeten Hitze nachträglich eine Müdigkeit und setzte mich gegen den Garten auf die Veranda. Mit schwacher Aufmerksamkeit und oft 228
    von leichtem Schlummer unterbrochen las ich in der Geschichte des Generals Gordon, des Helden von Char-tum, und immer mehr schien es nun auch mir, es müs-se bald ein Gewitter kommen. Der Himmel stand nach wie vor im reinsten Blau, aber die Luft wurde im mer bedrückender, als lägen durchglühte Wolkenschichten vor der Sonne, die doch klar in der Höhe stand. Um zwei Uhr ging ich in das Haus zurück und begann mein Angel zeug zu rüsten. Während ich meine Schnüre und Haken un tersuchte, fühlte ich die innige Erregung der Jagd voraus und empfand mit Dankbarkeit, daß doch dieses eine, tiefe, lei denschaftliche Vergnügen mir geblieben sei.
    Die sonderbar schwüle, gepreßte Stille jenes Nachmittags ist mir unvergeßlich geblieben. Ich trug meinen Fischeimer fl ußabwärts bis zum unteren Steg, der schon zur Hälfte im Schatten der hohen Häuser lag. Von der nahen Spinnerei hörte man das gleichmäßige, einschlä-
    fernde Surren der Ma schinen, einem Bienenfl uge ähnlich, und von der Obermühle her schnarrte jede Minute das böse, schartige Kreischen der Kreissäge. Sonst war es ganz still, die Handwerker hatten sich in den Schatten der Werkstätten zurückgezogen, und kein Mensch zeigte sich auf der Gasse. Auf der Mühlinsel watete ein kleiner Bub nackt zwischen den nassen Steinen umher.
    Vor der Werkstatt des Wagnermeisters lehnten rohe Holzdielen an der Wand und dufteten in der Sonne über stark, der trockene Geruch kam bis zu mir herüber 229
    und war durch den satten, etwas fi schigen Wasserduft hindurch deut lich zu spüren.
    Die Fische hatten das ungewöhnliche Wetter auch be merkt und verhielten sich launisch. Ein paar Rotaugen gin gen in der ersten Viertelstunde an die Angel, ein schwerer breiter Kerl mit schönen roten Bauchfl ossen riß mir die Schnur ab, als ich ihn schon beinahe in Händen hatte. Gleich darauf kam eine Unruhe in die Tiere, die Rotaugen gingen tief in den Schlamm und sahen keinen Köder mehr an, oben aber wurden Schwärme von jungem, jährigem Fischzeug sichtbar und zogen in immer neuen Scharen wie auf einer Flucht fl ußaufwärts.
    Alles deutete darauf, daß anderes Wet ter im Anzuge sei, aber die Luft stand still wie Glas, und der Himmel war ohne Trübung. Mir schien, es müsse irgendein schlechtes Abwasser die Fische vertrieben haben, und da ich noch nicht nachzugeben gesonnen war, besann ich mich auf einen neuen Standort und suchte den Kanal der Spinnerei auf. Kaum hatte ich dort einen Platz bei dem Schuppen ge funden und meine Sachen ausge-packt, so tauchte an einem Treppenfenster der Fabrik die Berta auf, schaute herüber und winkte mir. Ich tat aber, als sähe ich es nicht, und bückte mich über meine Angel.
    Das Wasser strömte dunkel in dem gemauerten Ka-
    nal, ich sah meine Gestalt darin mit wellig zitternden Umrissen ge spiegelt, sitzend, den Kopf zwischen den Fußsohlen. Das Mädchen, das noch drüben am Fenster 230
    stand, rief meinen Namen herüber, ich starrte aber regungslos ins Wasser und wendete den Kopf nicht um.
    Mit dem Angeln war es nichts, auch hier trieben sich die Fische hastig wie in

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