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Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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eiligen Geschäften umher. Von der be drückenden Wärme ermüdet, blieb ich auf dem Mäuerlein sitzen, nichts mehr von diesem Tag erwar-tend, und wünschte, es möchte schon Abend sein. Hinter mir summte in den Sälen der Spinnerei das ewige Maschinengetöne, der Kanal rieb sich leise rauschend an den grünbemoosten, feuchten Mauern. Ich war voll schläfriger Gleichgültigkeit und blieb nur sitzen, weil ich zu träge war, meine Schnur schon wieder aufzu-wickeln. Aus dieser faulen Dämmerung erwachte ich, vielleicht nach einer halben Stunde, plötzlich mit einem Gefühl von Sorge und tiefem Unbehagen. Ein unruhiger Windzug drehte sich gepreßt und widerwil lig um sich selber, die Luft war dick und schmeckte fad, ein paar Schwalben fl ogen erschreckt dicht über dem Was ser hinweg. Mir war schwindlig, und ich meinte, vielleicht einen Sonnenstich zu haben, das Wasser schien stärker zu riechen, und mir begann ein übles Gefühl, wie vom Magen her, den Kopf einzunehmen und den Schweiß zu treiben. Ich zog die Angelschnur heraus, um meine Hände an den Wassertropfen zu erfrischen, und begann mein Zeug zusammenzupacken.
    Als ich aufstand, sah ich auf dem Platz vor der Spinnerei den Staub in kleinen spielenden Wölkchen wir-beln, plötzlich stieg er hoch und in eine einzige Wolke 231
    zusammen, hoch oben in den erregten Lüften fl ohen Vögel wie gepeitscht da von, und gleich darauf sah ich talherabwärts die Luft weiß werden wie in einem dik-ken Schneesturm. Der Wind, sonder bar kühl geworden, sprang wie ein Feind auf mich herab, riß die Fischleine aus dem Wasser, nahm meine Mütze und schlug mich wie mit Fäusten ins Gesicht.
    Die weiße Luft, die eben noch wie eine Schneewand über fernen Dächern gestanden hatte, war plötzlich um mich her, kalt und schmerzhaft, das Kanalwasser spritzte hoch auf wie unter schnellen Mühlradschlägen, die Angelschnur war fort, und um mich her tobte schnau-bend und vernichtend eine weiße brüllende Wildnis, Schläge trafen mir Kopf und Hände, Erde spritzte an mir empor, Sand und Holzstöcke wirbelten in der Luft.
    Alles war mir unverständlich; ich fühlte nur, daß etwas Furchtbares geschehe und daß Gefahr sei. Mit einem Satz war ich beim Schuppen und drinnen, blind vor Überraschung und Schrecken. Ich hielt mich an einem eisernen Träger fest und stand betäubte Sekunden atemlos in Schwindel und ani malischer Angst, bis ich zu begreifen begann. Ein Sturm, wie ich ihn nie gesehen oder für möglich gehalten hatte, riß teufl isch vorüber, in der Höhe klang ein banges oder wildes Sau sen, auf das fl ache Dach über mir und auf den Erdboden vor dem Eingang stürzte weiß in dicken Haufen ein grober Hagel, dicke Eiskörner rollten zu mir herein. Der Lärm von Ha gel und Wind war furchtbar, der Kanal schäumte ge-232
    peitscht und stieg in unruhigen Wogen an den Mauern auf und nie der.
    Ich sah, alles in einer Minute, Bretter, Dachschindeln und Baumzweige durch die Luft dahingerissen, fallende Steine und Mörtelstücke, alsbald von der Masse der dar-
    über ge schleuderten Hagelschloßen bedeckt; ich hörte wie unter ra schen Hammerschlägen Ziegel brechen und stürzen, Glas zersplittern, Dachrinnen stürzen.
    Jetzt kam ein Mensch dahergelaufen, von der Fabrik her quer über den eisbedeckten Hof, mit fl atternden Kleidern schräg wider den Sturm gelegt. Kämpfend taumelte die Ge stalt näher, mir entgegen, mitten aus der scheußlich durch einandergewühlten Sintfl ut. Sie trat in den Schuppen, lief auf mich zu, ein stilles fremd-bekanntes Gesicht mit großen lie bevollen Augen schwebte mit schmerzlichem Lächeln dicht vor meinem Blick, ein stiller warmer Mund suchte meinen Mund und
    küßte mich lange in atemloser Unersättlichkeit, Hände umschlangen meinen Hals, und blondes feuchtes Haar preßte sich an meine Wangen, und während ringsum der Hagelsturm die Welt erschütterte, überfi el ein stummer, banger Liebessturm mich tiefer und schrecklicher.
    Wir saßen auf einem Bretterstoß, ohne Worte, eng um
    schlungen, ich streichelte scheu und verwundert Bertas Haar und drückte meine Lippen auf ihren starken, vollen Mund, ihre Wärme umschloß mich süß und schmerzlich. Ich tat die Augen zu, und sie drückte meinen Kopf an ihre klopfende Brust, in ihren Schoß und 233
    strich mit leisen, irren Händen über mein Gesicht und Haar.
    Da ich die Augen aufschlug, von einem Sturz in
    Schwin delfi nsternis erwachend, stand ihr ernstes, kräftiges Gesicht in trauriger Schönheit über mir,

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