Meistererzählungen
Überschwemmungen veranstaltet. Das verwitter-218
te Wasserfaß war mir ein treuer Liebling und Zeitver-treiber gewesen, und indem ich es ansah, zuckte sogar ein Nachhall jener Kin derwonne in mir auf, allein sie schmeckte traurig, und das Faß war kein Quell, kein Strom und kein Niagara mehr.
Nachdenklich kletterte ich über den Zaun, eine blaue Win denblüte streifte mir das Gesicht, ich riß sie ab und steckte sie in den Mund. Ich war nun entschlossen, einen Spaziergang zu machen und vom Berg herunter auf unsere Stadt zu se hen. Spazierengehen war auch so ein halbfrohes Unterneh men, das mir in früheren Zeiten niemals in den Sinn gekom men wäre. Ein Knabe geht nicht spazieren. Er geht in den Wald als Räuber, als Ritter oder Indianer, er geht an den Fluß als Flößer und Fischer oder Mühlenbauer, er läuft in die Wiesen zur Schmetterlings- und Eidechsenjagd. Und so er schien mir mein Spaziergang als das würdige und etwas langweilige Tun eines Erwachsenen, der nicht recht weiß, was er mit sich anzufangen hat.
Meine blaue Winde war bald welk und weggeworfen, und ich nagte jetzt an einem Buchsbaumzweig, den ich mir abge rissen hatte, er schmeckte bitter und gewürzig.
Beim Bahn damm, wo der hohe Ginster stand, lief mir eine grüne Ei dechse vor den Füßen weg, da wachte doch das Knabentum wieder in mir auf, und ich ruhte nicht und lief und schlich und lauerte, bis ich das ängstliche Tier sonnenwarm in mei nen Händen hielt. Ich sah ihm in die blanken kleinen Edel steinaugen und fühlte mit 219
einem Nachhall ehemaliger Jagdseligkeit den geschmeidigen kräftigen Leib und die har ten Beine zwischen meinen Fingern sich wehren und stem men. Dann aber war die Lust erschöpft, und ich wußte nim mer, was ich mit dem gefangenen Tier beginnen sollte. Es war nichts damit, es war kein Glück mehr dabei. Ich bückte mich nieder und öff nete meine Hand, die Eidechse hielt verwundert einen Augenblick mit heftig atmenden Flanken still und verschwand eifrig im Grase. Ein Zug fuhr auf den glän zenden Eisenschienen daher und an mir vorbei, ich sah ihm nach und fühlte einen Augenblick ganz klar, daß mir hier keine wahre Lust mehr blühen könne, und wünschte inbrün stig, mit diesem Zuge fort und in die Welt zu fahren.
Ich hielt Umschau, ob nicht der Bahnwärter in der Nähe sei, und da nichts zu sehen noch zu hören war, sprang ich schnell über die Geleise und kletterte jenseits an den hohen roten Sandsteinfelsen empor, in welchen da und dort noch die geschwärzten Sprenglöcher vom Bahnbau her zu sehen waren. Der Durchschlupf nach oben war mir bekannt, ich hielt mich an den zä-
hen, schon verblühten Ginsterbesen fest. In dem roten Gestein atmete eine trockene Sonnenwärme, der heiße Sand rieselte mir beim Klettern in die Ärmel, und wenn ich über mich sah, stand über der senkrechten Stein-wand erstaunlich nah und fest der warme leuchtende Himmel. Und plötzlich war ich oben, ich konnte mich an dem Steinrande aufstemmen, die Knie nachziehen, 220
mich an einem dünnen, dornigen Akazienstämmchen festhalten und war nun auf einem verlorenen, steil an-steigenden Graslande.
Diese stille kleine Wildnis, unter welcher in steiler Verkür zung die Eisenbahnzüge wegfahren, war mir frü-
her ein lie ber Aufenthalt gewesen. Außer dem zähen, verwilderten Grase, das nicht gemäht werden konnte, wuchsen hier kleine, feindornige Rosensträucher und ein paar vom Winde ausge säte, kümmerliche Akazienbäumchen, durch deren dünne, transparente Blätter die Sonne schien. Auf dieser Grasinsel, die auch von oben her durch ein rotes Felsenband abge schnitten war, hatte ich einst als Robinson gehaust, der ein same Landstrich gehörte niemandem, als wer den Mut und die Aben-teuerlaune hatte, ihn durch senkrechtes Klettern zu erobern. Hier hatte ich als Zwölfj ähriger mit dem Mei-
ßel meinen Namen in den Stein gehauen, hier hatte ich einst die Rosa von Tannenburg gelesen und ein kindliches Drama ge dichtet, das vom tapferen Häuptling eines untergehenden In dianerstammes handelte.
Das sonnverbrannte Gras hing in bleichen, weißlichen Strähnen an der steilen Halde, das durchglühte Ginster-laub roch stark und bitter in der windstillen Wärme. Ich streckte mich in die trockene Dürre, sah die feinen Aka-zienblätter in ihrer peinlich zierlichen Anordnung grell durchsonnt in dem satten blauen Himmel ruhen und dachte nach. Es schien mir die rechte Stunde zu sein, um mein Leben und meine Zu kunft vor mir
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