Meistererzählungen
mit unserer Sparkasse ist! Ich habe einen Zehner hineingetan und du nichts.«
»Deinen Zehner kannst du wiederhaben, heut noch, wenn du Angst um ihn hast. Wenn ich dich nur nimmer sehen muß. Als ob ich von dir etwas annehmen würde!«
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»Du hast ihn neulich gern genommen«, meinte er
höh nisch, aber nicht, ohne einen Türspalt zur Versöhnung off enzulassen.
Aber ich war heiß und böse geworden, alle in mir ange häufte Angst und Ratlosigkeit brach in hellen Zorn aus. Weber hatte mir nichts zu sagen! Gegen ihn war ich im Recht, gegen ihn hatte ich ein gutes Gewissen. Und ich brauchte je mand, gegen den ich mich fühlen, gegen den ich stolz und im Recht sein konnte. Alles Ungeordnete und Finstere in mir strömte wild in diesen Ausweg.
Ich tat, was ich sonst so sorgfältig vermied, ich kehrte den Herrensohn heraus, ich deutete an, daß es für mich keine Entbehrung sei, auf die Freundschaft mit einem Gassenbuben zu verzichten. Ich sagte ihm, daß für ihn jetzt das Beerenessen in unserm Garten und das Spielen mit meinen Spielsachen ein Ende habe. Ich fühlte mich aufglühen und aufl eben: ich hatte einen Feind, einen Gegner, einen, der schuld war, den man packen konnte. Alle Lebenstriebe sammelten sich in diese erlösende, willkommene, befreiende Wut, in die grimmige Freude am Feind, der diesmal nicht in mir selbst wohnte, der mir gegen überstand, mich mit erschreckten, dann mit bösen Augen an g lotzte, dessen Stimme ich hörte, dessen Vorwürfe ich ver achten, dessen Schimpfworte ich übertrumpfen konnte.
Im anschwellenden Wortwechsel, dicht nebeneinander, trieben wir die dunkle Gasse hinab; da und dort sah man uns aus einer Haustüre nach. Und alles, was ich 305
gegen mich sel ber an Wut und Verachtung empfand, kehrte sich gegen den unseligen Weber. Als er damit zu drohen begann, er werde mich dem Turnlehrer anzei-gen, war es Wollust für mich: er setzte sich ins Unrecht, er wurde gemein, er stärkte mich.
Als wir in der Nähe der Metzgergasse handgemein wur den, blieben gleich ein paar Leute stehen und sahen unserm Handel zu. Wir hieben einander in den Bauch und ins Ge sicht und traten mit den Schuhen gegeneinander. Nun hatte ich für Augenblicke alles vergessen, ich war im Recht, war kein Verbrecher, Kampfrausch beglückte mich, und wenn Weber auch stärker war als ich, so war ich fl inker, klüger, ra scher, feuriger. Wir wurden heiß und schlugen uns wütend. Als er mir mit einem verzweifelten Griff den Hemdkragen aufriß, fühlte ich mit Inbrunst den Strom kalter Luft über meine glü-
hende Haut laufen.
Und im Hauen, Reißen und Treten, Ringen und
Würgen hörten wir nicht auf, uns weiter mit Worten anzufeinden, zu beleidigen und zu vernichten, mit Worten, die immer glühen der, immer törichter und böser, immer dichterischer und phantastischer wurden. Und auch darin war ich ihm über, war böser, dichterischer, erfi nderischer. Sagte er Hund, so sagte ich Sauhund.
Rief er Schuft, so schrie ich Satan. Wir bluteten beide, ohne etwas zu fühlen, und dabei häuften unsre Worte böse Zauber und Wünsche, wir empfahlen ein ander dem Galgen, wünschten uns Messer, um sie einander 306
in die Rippen zu jagen und darin umzudrehen, wir be-schimpften einer des andern Namen, Herkunft und Vater.
Es war das erste und einzige Mal, daß ich einen solchen Kampf im vollen Kriegsrausch bis zu Ende aus-focht, mit al len Hieben, allen Grausamkeiten, allen Be-schimpfungen. Zu gesehen hatte ich oft und mit grausender Lust diese vulgären, urtümlichen Flüche und Schandworte angehört; nun schrie ich selber heraus, als sei ich ihrer von klein auf gewohnt und in ihrem Gebrauch geübt. Tränen liefen mir aus den Augen und Blut über den Mund. Die Welt aber war herrlich, sie hatte einen Sinn, es war gut zu leben, gut zu hauen, gut zu bluten und bluten zu machen.
Niemals vermochte ich in der Erinnerung das Ende dieses Kampfes wiederzufi nden. Irgendeinmal war es aus, irgendeinmal stand ich allein in der stillen Dunkelheit, erkannte Straßenecken und Häuser, war nahe bei unserm Hause. Langsam fl oh der Rausch, langsam hör-te das Flügelbrausen und Donnern auf, und Wirklichkeit drang stückweise vor meine Sinne, zuerst nur vor die Augen. Da der Brunnen. Die Brücke. Blut an meiner Hand, zerrissene Kleider, herabge rutschte Strümp-fe, ein Schmerz im Knie, einer im Auge, keine Mütze mehr da – alles kam nach und nach, wurde Wirklichkeit und sprach zu mir. Plötzlich war ich tief ermü det, fühlte meine Knie und
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