Meisterin der Runen
zurückkehren.«
Er stieß ihre Hände fort. »Wer sagt mir, dass du es nicht immer noch willst?«
»Das tue ich nicht.« Energisch schüttelte sie den Kopf. »Die Heimat von einst gibt es nicht mehr. Dänemark war der Ort, an dem ich mit meinen Eltern lebte, aber meine Eltern sind tot. Künftig bin ich dort zu Hause, wo mein Kind lebt. Wo meine Schwestern leben. Und … wo du lebst.«
»Schöne Worte …«, stieß er aus. »Dass du damit Menschen in den Bann schlagen kannst, hast du soeben bewiesen.« Er schnaubte.
»Du bist misstrauischer als sie«, stellte sie fest. »Du kannst mir nicht vertrauen.«
»Woher weiß ich, dass du nicht doch noch auf Agnarrs Seite stehst?«
»Ich habe ihn vor aller Welt seiner Untaten angeklagt!«
»Meinetwegen, ich glaube dir, dass du ihn hasst. Aber wie soll ich sicher sein, dass dich die Liebe zu mir zu diesen Worten bewogen hat, nicht die Rachsucht? Du hast gesagt, ich sei stärker als er. Was, wenn es nur kühle Berechnung ist, dich dem Stärkeren zu unterwerfen?«
Sie seufzte. »Was immer ich dir sage, man kann es gut oder schlecht auslegen. Es ist wie bei den Runen, auf deren nützliche Wirkung man setzen kann und deren schädliche zu fürchten ist. Mehr als beschwören, dass sich meine Sicht der Dinge geändert hat, kann ich nicht. Mehr als dich um Vergebung bitten und darauf hoffen, dass wir eine Zukunft haben, bleibt mir nicht. Die Menschen da draußen haben gespürt, dass meine Worte ehrlich gemeint waren. Sie haben mir geglaubt, was gleichsam hieß, dass sie auch deiner Rede glaubten. Nun ist es an dir, mir gleiches Vertrauen zu erweisen.«
Sie starrten sich an. Sie sah seine tiefe Kränkung und er ihr aufrichtiges Bedauern. Schließlich wich beides der Sehnsucht. Seiner Sehnsucht nach einem Menschen, der auf seiner Seite stand, der ihn stärkte, der ihn verstand. Ihrer Sehnsucht nach Sicherheit, Geborgenheit und Wärme. Er hatte die Einsamkeit in seinem Burgzimmer geschmeckt, wohin nur Menschen kamen, die ihm dienten, ihn vor neuen Gefahren warnten oder ihm schmeichelten. Sie in den Wäldern, wo man von ihr Wunder erwartete.
Vielleicht hatte sie manches bewirken können, vielleicht nicht. Wundersam erschien ihr in jedem Fall, dass er auf sie zugehen konnte und sie auf ihn, dass ihre Hände sich fanden, ihre Münder, ihre Leiber, und dass es leicht war, zu vergeben – sie ihm und er ihr.
»Ich werde dich nicht heiraten, noch nicht«, sagte er, als ihre Lippen sich voneinander lösten.
»So sei es. Aber ich will keine deiner Konkubinen in meiner Nähe haben.«
»Warum nicht?«, fragte er leichtfertig. »In Dänemark haben viele Männer mehrere Frauen.«
»Wir leben in der Normandie. Hier wettern die Priester dagegen, und wir werden uns ihrem Wort fügen.«
»Und meine Bastarde?«
»Ich werde für sie sorgen lassen, sie sollen dennoch von klein auf lernen, ihrem Bruder zu dienen. Aber nur ihn wirst du als deinen rechtmäßigen Erben anerkennen.«
Sie umarmten sich wieder.
»Vielleicht hat Alruna recht, und du hast mich verhext«, murmelte er, während er über ihr langes, volles Haar strich. »Ich war mir sicher, ich könnte keine Frau je lieben. Und jetzt erscheint mir das Leben mit dir so viel leichter und schöner als ohne dich. Das ist doch Liebe, nicht wahr?«
Sie wusste nicht genau, was Liebe war, sie wusste nicht, ob das, was sie mit Richard einte, für alle Zeit genügte. Sie wusste nicht, ob ihr Körper, als er unter seinem Streicheln lustvoll zu pochen begann, ihr endlich gehorchte oder sie einmal mehr verriet. Aber sie wusste, dass es ihr genauso ging wie ihm: Sie lebte lieber mit ihm als ohne ihn, und diese Erkenntnis schien ihr ein nährender Boden, um die Zukunft darauf zu bauen.
Agnarr wusste nun, wie sie hieß, aber das gab ihm keine Macht über sie – nur ihr noch mehr über ihn. Er sprach ihren Namen oft aus, wollte ihn mit seinem Kiefer zermalmen, mit seinen Lippen zerquetschen, mit seinen Zähnen zerreißen. Er wollte ihn vernichten so wie sie selbst. Doch der Name erwies sich als zäh: Er blieb heil und ließ sich nicht schlucken. Und es war nicht der einzige widerliche Brocken, dem ihm das Leben vor die Füße spie, auf dass er ihn hinunterwürgte.
Kaum schmackhafter war die Enttäuschung, dass seine Pläne vereitelt waren, die Wut, dass so viele seiner Landsleute lieber Richard und Gunnoras Worten glaubten als seinen, die Angst, auf ewig versagt zu haben.
Ruhm ist wertvoller als Gold, beständiger als Stein, mächtiger als das
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