Meisterin der Runen
weiter seine Konkubinen aufzusuchen, die ein eigenes Haus in der gräflichen Pfalz bewohnten. Einige von ihnen hatten ihm Bastarde geboren – einen Sohn namens Geoffrey und ein Mädchen namens Beatrice –, und glaubte man den Gerüchten, waren weitere unterwegs.
Mathilda suchte ihren Blick. »Vergiss nie, du bist etwas Besonderes für ihn, Alruna, nicht eine von vielen! Und das nur, weil euch langjährige Vertrautheit bindet, nicht Geschlechtlichkeit. Begnüg dich damit, denn alles andere wirst du nicht bekommen, oder falls doch, wird es dich nicht glücklich machen.«
»Ich will nicht, dass er mich wie eine Schwester liebt!«
»Daran ist doch nichts Schlechtes zu finden.«
In Alrunas Ohr klang es dennoch düster wie ein Todesurteil. Alles in ihr bäumte sich dagegen auf, und dieses Mal hatte ihr Trotz nicht gegen Verwirrung zu kämpfen, sondern gegen bittersten Schmerz.
»Ich werde euch alle eines Besseren belehren«, flüsterte sie.
Sie floh, ehe die Mutter ihr widersprechen konnte. Diese hielt sie nicht auf, sah ihr nur betroffen nach. Alruna spürte ihren Blick, spürte ihre Zuneigung … spürte auch ihr Mitleid. Voller Unbehagen zog sie die Schultern hoch. Mitleid war, gemessen an unerfüllter Liebe, ein noch lähmenderes Gift. Nein, sie würde es nicht schlucken, würde es der Welt vielmehr ins Gesicht spucken, würde mit Freuden zusehen, wie es deren Gesicht zerfraß, und darüber vergessen, welcher Schmerz das eigene Herz brechen ließ. Sie würde nicht in Qual erstarren, sondern eisern mit ihr ringen, bis alle Welt wusste, dass das Leiden sie nicht schwächte, sondern stärkte. Ganz gleich, was die Mutter sagte – sie war kein Zweiglein, das an Richards Baum wuchs, sondern selbst einer, ein dicker, mächtiger. Ach, wenn Richard doch nur dessen Wurzeln begösse und die Zweige Knospen trieben, aus denen Blüten wurden, bunte und schöne!
Alruna stieg den raucherfüllten Gang nach oben in Richards Turm. Hier war es nicht bunt und schön, sondern grau in grau. Ein Mann wartete auf der obersten Stufe der Treppe, und sie dachte schon, dass es Richard wäre, aber dann erkannte sie seinen jüngeren Bruder Raoul. Er war nicht viel älter als sie selbst, was bedeutete, dass ihn von Richard ein halbes Leben trennte, doch sein Spott konnte grausam sein wie der eines alten Menschen, der mehr Bitteres als Süßes geschluckt hat. Gewiss, er war von fröhlicher Natur und nahm das Leben leicht, hatte aber in seiner unglücklichen Ehe dennoch lernen müssen, dass es das Schicksal, nur weil man noch jung war, nicht immer gut mit einem meinte, ja, dass besagtes Schicksal mit den besonders Kecken, Leichtsinnigen und Selbstbewussten vielmehr am liebsten seine verstörenden Spiele trieb.
»Was hast du mit ihm gemacht?«, rief Raoul lachend.
Alruna hielt inne. Sie wusste die Worte nicht zu deuten. Eigentlich verhießen sie Anerkennung, sprachen sie ihr schließlich die Macht zu, Richard von seiner Trauer befreit zu haben, doch das Gelächter, das nicht abriss, war zu schrill, um es für freundlich zu halten.
Ihr Blick fiel auf die geschlossene Tür, und plötzlich stieg eine Ahnung in ihr hoch, wie Richard den Weltschmerz tatsächlich abgeschüttelt hatte, aber auch, dass sie ihm darüber nicht unbedingt nähergekommen war.
Sie drängte sich an Raoul vorbei. Kurz zögerte sie noch, dann hielt sie an ihrem Entschluss fest, sich vom Leid nicht brechen, sondern stärken zu lassen.
Sie öffnete die Tür einen Spalt weit, lugte hindurch, schloss sie wieder.
Raoul hatte zu lachen aufgehört und strich nun neckisch über ihren Arm. »Es war die richtige Idee, ihn in den Wald zu entführen, der Wald hat ihm immer gutgetan. Kaum zu glauben, wie euer Ausritt seine Lebensgeister geweckt hat – und seinen Hunger.«
Es war kein Hunger auf Met und Rinderbraten, sondern Hunger auf eine der vielen Konkubinen, blond oder dunkel, rundlich oder zart, kokett oder schüchtern. Sie sahen unterschiedlich aus, alle hatten sie jedoch gemein, dass sie dem Grafen gefallen wollten, und dazu bedurfte es nicht viel mehr, als bereitwillig die Schenkel zu öffnen.
Zwischen solchen Schenkeln wälzte sich nun Richard, die Beinkleider aufgeschnürt, ansonsten noch angekleidet. Dass er sich nicht einmal die Zeit genommen hatte, die Kleidung abzulegen, die er in ihrer Gegenwart getragen hatte, war für Alruna besonders bitter … und erniedrigend.
Ihre Fingernägel gruben sich in die Daumenballen. Sie blickte Raoul herausfordernd an, lächelte
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