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Meisterin der Runen

Meisterin der Runen

Titel: Meisterin der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Leben, das sie sich mühsam aufgebaut hatte, irgendwann zusammenfiel wie eine morsche Hütte, die auf sumpfigem Moor stand? Was, wenn ihr Name dereinst beschmutzt würde von üblen Gerüchten, und schlimmer noch: der ihrer Kinder?
    Sie ahnte, sie trug ein zweites unter dem Herzen, und sie freute sich darüber, zumal sie sich dieses Mal gewiss sein konnte, dass es Richards Kind war. Und dennoch: Wenn sie endgültig in die Zukunft schauen wollte, musste sie die Vergangenheit bannen, ihr jede Macht nehmen, ihre Geister einsperren.
    Eines Nachts, als sie wieder nicht schlafen konnte, erhob sie sich von der Bettstatt. Schmerz fuhr ihr in den Rücken, ein Zeichen, dass das Kind in ihr stetig wuchs, aber davon ließ sie sich nicht abhalten.
    Das Schlimmste auf Erden ist nicht der Tod, das Schlimmste ist, vergessen zu werden.
    Diese Worte ihrer Mutter kamen ihr in den Sinn, und auch, wie jene sie belehrt hatte, dass es eine Rune gab, die Vergessen brachte: die Rune Uruz, die zweite in der Runenfolge. Eigentlich stand sie für Verständnis und Weisheit, doch wenn man sie verkehrt schrieb und ihre Macht, zu schaden, nutzte, brachte sie Ignoranz und Blindheit.
    Gunnora setzte sich an ihr Pult. Von Mathilda hatte sie gelernt, auf Pergament zu schreiben, und obwohl es sich fremd anfühlte, die Rune nicht in Holz einzuritzen, sondern mit Tinte zu malen, schritt sie beherzt zur Tat.
    Sie schrieb die Rune Uruz, schrieb dann – gleichfalls in Runen – drei Sätze:
    Agnarr hat mich geschändet.
    Agnarr hat mich womöglich geschwängert.
    Agnarr starb durch meine Hand.
    Gunnora schloss erneut mit der Rune Uruz.
    Als sie aufstand, fühlte sie sich befreit. Die dunklen Erinnerungen waren fortan auf dieses Stück Pergament gebannt und so aus ihrem Herzen ausgemerzt. Agnarr würde nicht länger in ihren Gedanken leben.
    Sie verstaute die Rolle in einer Truhe und war sich sicher, dass sie hier niemand finden würde, und selbst wenn doch: Es würde niemand die Runen lesen können, sie war die einzige Meisterin am Hofe von Rouen.

 
F ÉCAMP
996
    Agnes war enttäuscht. Sie vermochte nicht zu sagen, was sie genau erwartet hatte, in jedem Fall etwas anderes als die verworrene Geschichte, die die Gräfin ihr erzählt hatte. Von einem Mann war da die Rede, der sie offenbar mit dem Tod bedroht und den sie darum selbst getötet hatte.
    Gewiss, Mord war eine Sünde, die von Frauenhand ausgeübt wahrscheinlich noch schwerer wog, als von Männerhand, aber Agnes war überzeugt davon, dass Gott Verständnis zeigte, schützte man sein eigenes Leben und schickte man einen gottlosen Wüstling in die Hölle. Und wenn es Gott verstand, so doch auch die Mönche!
    Die Gräfin sah das offenbar anders. »Viele Kirchenmänner haben mir jahrelang misstraut«, sagte sie leise. »Nicht nur wegen meiner Herkunft, sondern weil ich lange Zeit nicht rechtmäßig mit Richard verheiratet war. Ich meine nicht Dudo, dieser stand von Anfang an auf meiner Seite, aber es gab andere, die ihren Argwohn nie recht verbergen konnten …« Sie hielt einen Moment inne. »Wüssten sie von den damaligen Ereignissen, würden sie in ihrem Urteil bestärkt, dass ich eine wilde, kaum zu zähmende Frau bin.«
    Agnes hätte am liebsten aufgelacht. Niemand war so beherrscht wie die Gräfin! Als deren blaue Augen sich allerdings in ihre bohrten und sie in ihrem Blick tatsächlich etwas von besagter Wildheit witterte, nickte sie verständig.
    »Und die Menschen hierzulande, die sich weiterhin standhaft wehren, sich taufen zu lassen«, fuhr Agnes anstelle der Gräfin fort, »sie dürfen ebenso wenig erfahren, dass du einen der ihren getötet hast. Bruder Ouen und Bruder Remi wollten dieses Geheimnis nutzen, um Unfrieden zu stiften, Gottlob ist es ihnen nicht gelungen. Aber … aber was ist denn nun diese zweite Sache, die nicht ans Licht darf? Das Geheimnis, welches die Runen verraten …«
    Die Gräfin schien ihre Frage nicht gehört zu haben. Vielleicht dachte sie an die Zeit im Wald, von der sie Agnes auch erzählt hatte, von den Elfen und Zwergen, die dort wohnten, von den Menschen, die sich von ihr hatten Runen schnitzen lassen, von den Füchsen und Eichhörnchen, die an manchen Tagen die einzige Gesellschaft waren. Allerdings: Als sie das erwähnt hatte, hatte ihr Gesicht weich und jung gewirkt, nun war es wie gewohnt streng und hart.
    »Richard hat seine Herrschaft stabilisiert«, erklärte sie. »Aber mein Sohn ist noch unerfahren, was bedeutet, dass ich ihm helfen muss, das Land zu

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