Meisterin der Runen
verdrehten. Er tat, was er am besten konnte – er schwieg. Und auch Arfast fügte nichts hinzu.
Gunnora schmiegte sich nun doch an Richard. »Das ist wahr. Alruna hat meiner Schwester das Leben gerettet – und wahrscheinlich auch mir das meine. Sie ist über sich hinausgewachsen, hat allen Mut zusammengenommen und alle Kraft. Jetzt musst auch du dich überwinden. Es ist Zeit, ihr zu vergeben. Zeit, dass sie nach Rouen zurückkehren darf.«
Richard löste sich von Gunnora, rang die Hände. »Alruna … hier im Wald. Ich habe zugestimmt, dass du sie im Kloster besuchst, jedoch nicht …« Er brach ab. »Und Agnarr … kaum auszudenken, was hätte passieren können … Ich selbst hätte für Recht und Ordnung sorgen müssen, stattdessen tat es eine … Frau. Ist die Welt verrückt geworden?«
»Die Welt ist ohne Agnarr in jedem Fall ein sichererer Ort für dich«, mischte sich erstmals Raoul ein. »Habt ihr ihn schon begraben?«
»Ja«, sagte Gunnora schlicht.
»Nun«, meinte Raoul zu Richard. »Mehr brauchst du nicht zu wissen.«
Er schien früher als sein Bruder begriffen zu haben, dass es für die Zukunft besser war, wenn Agnarrs Verschwinden nicht mit Richard in Verbindung gebracht wurde und somit keine neuen Feindseligkeiten rachsüchtiger Dänen provozierte.
Richard ging auf und ab, aber Gunnora gab ihm ein Zeichen, stehen zu bleiben. »Wir sollten so schnell wie möglich in den Norden aufbrechen«, erklärte sie.
Sie sah Verwirrung, Verständnislosigkeit, aber auch, wie er seine Beherrschung wieder fand.
»Ich werde nie begreifen, wie du Arfast ganz allein folgen konntest!«, fuhr er sie lediglich an.
»Es war das letzte Mal, dass ich etwas hinter deinem Rücken getan habe, ich schwöre es dir. Wie aber hast du mich gefunden? Warum bist du ausgerechnet hierhergekommen, als du mich suchtest?«
»Du hast mir vorgeworfen, ich könnte nicht in die Herzen der Menschen sehen, schon gar nicht in die der Frauen, doch dich kenne ich. Keinen Augenblick habe ich gedacht, du könntest heimlich geflohen sein wie einst – vielmehr, dass du einen guten Grund haben müsstest zu gehen. Und dass dieser mit deinen Schwestern zu tun hat. Da Wevia und Duvelina in Rouen sind, konnte es nur Seinfreda sein, die deine Hilfe brauchte.« Noch redend wandte er sich ab, und sein Blick fiel wieder auf Alruna, nicht länger streng, eher verlegen. »Ich hätte nie gedacht, dass du das kannst … ich meine, einen Menschen töten …«
Zu spät kam ihm wohl in den Sinn, dass er auch nie gedacht hätte, sie würde seinem Kind ein Leid zufügen, und doch hatte sie es getan. Prompt erwachte wieder Grimm.
»Wie ich schon sagte – sie hat meiner Schwester das Leben gerettet. Und darum soll sie nun wieder deine Schwester sein«, sagte Gunnora schnell.
Schweigen senkte sich über die Lichtung. Gunnora sah, wie es hinter Richards Stirn arbeitete, wie sehr ihn das Geschehene peinigte, wusste aber auch, dass er nie lange haderte. Er hatte beinahe schon vergessen, dass sie ihn einst verraten hatte. Er würde irgendwann auch vergessen, was Alruna getan und was sich hier vermeintlich zugetragen hatte.
Nur sie und Alruna würden es ewig in Erinnerung behalten, dadurch geeint, dass die andere ihr geholfen hatte, Rache zu üben, und dass sie als Einzige ihr Geheimnis kannte.
»Bring Alruna zurück nach Rouen«, erklärte Richard an Arfast gewandt. Seine Worte klangen nicht im Geringsten herzlich, und er hatte auch keinen Blick mehr für Alruna.
Diese schien sich mit seiner Vergebung, obwohl halbherzig, zu begnügen. In ihrem Blick standen weder Hass auf Gunnora noch Liebe zu Richard, nur Entschlossenheit, neu zu beginnen.
Ihre Mutter vergab ihr schnell. Mathilda schien es zu genügen, dass Richard selbst die Heimkehr angeordnet hatte. Sie nahm ihre Tochter wieder in die Arme, presste sie an sich und glaubte ihr, dass sie ihre Taten aufrichtig bereute. Der Vater hingegen blieb verhalten. Er sprach zwar mit ihr, aber in so nüchternem Ton, als wäre sie eine Fremde, nicht sein kleines Mädchen, das er stets wie seinen Augapfel gehütet hatte.
Alruna schmerzte dies mehr, als sie erwartet hatte. Viele Blicke trafen sie, neugierige, feindselige, spöttische, doch keiner setzte ihr zu wie der von Arvid. In ihm stand keine Verachtung für sie, nur Enttäuschung.
Mehrere Wochen nahm sie es hin, doch mit der Zeit merkte sie, dass seine Ablehnung sie ähnlich zu vergiften drohte wie einst ihre Liebe zu Richard. Eines Tages wartete sie vor der
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