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Meisterin der Runen

Meisterin der Runen

Titel: Meisterin der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Ein durchdringender Geruch hing darin – nach Pflanzen des Waldes, die er nie wahrgenommen, höchstens zertreten hatte, und nach alten Speisen, vor allem nach ranzig gewordenem Käse.
    Wie kam sie, die sie mutterseelenallein im Wald lebte, zu Käse?
    Keinen Augenblick zweifelte er daran, dass die schwarze Dänin und keine andere hier wohnte. Auch wenn sie nicht da war – ihre Unbeugsamkeit und ihr Trotz hockten wie Nebelschwadern inmitten der wackligen Wände, hüllten ihn ein, erstickten ihn.
    Anstatt das Schwert in die Scheide zu stecken, hieb er auf alles ein, was ihm zwischen die Finger kam. Erst als das Holz, aus dem die Wände errichtet waren, schon bedrohlich knarrte, und er gewiss war, dass sie – ob der Wucht seiner Schläge und überdies von einem Windstoß erfasst – bald nachgeben würden, hielt er inne. Jetzt erst nahm er die Holzstücke und Steine wahr, die überall herumlagen und die mit Zeichen verziert waren … mit Runen. Sie beherrschte also die geheimnisvolle Schrift des Nordens, kannte den Zauber, der den einzelnen Buchstaben innewohnte, suchte vielleicht nur seit Jahren seine Gedanken heim, weil sie ihn verhext hatte.
    Er begann, auch darauf wie von Sinnen einzuschlagen. Das Holz war bald in viele Splitter zerhauen, doch sie waren ihm nicht klein genug. Er lief aus der Hütte, warf die Splitter in sämtliche Himmelsrichtungen und schreckte damit sein Pferd auf. Er hatte es zwar festgebunden, doch es stieg wiehernd mit den Vorderbeinen in die Höhe.
    »Still«, herrschte er das Tier an.
    Agnarr löste den Knoten, stieg in den Sattel und ritt los. Gewiss war der Grundherr, der am Tag zuvor im Haus des Waldhüters eingekehrt war, schon aufgebrochen, und er konnte die Bewohner nach ihr befragen. Selbst wenn sie sich vor ihnen versteckt hatte – unmöglich, dass den Menschen, die im Wald lebten, eine Frau verborgen geblieben war, die die Runenzauberei beherrschte.
    Gunnora erwachte, blickte in ein fremdes Gesicht und erschrak. Nachdem sie sich den Schlaf aus den Augen gerieben hatte, waren ihr die Züge zwar nicht mehr ganz so fremd, schienen aber trotzdem nicht die des Mannes zu sein, den sie am Abend zuvor von der Fensterluke aus beobachtet hatte. Nicht Spott und Überheblichkeit standen in seiner Miene zu lesen – nur blanke Überraschung.
    »Sind deine Haare etwa über Nacht schwarz geworden?«
    Erst jetzt gewahrte sie, dass sie in seinen Armen eingeschlafen und wieder erwacht war. Trotz seines Erstaunens hatte er sich nicht von ihr gelöst – sie tat es umso hastiger.
    »Nein, meine Haare waren auch gestern schon schwarz.«
    Sie erhob sich, indessen er noch zögerte, es ihr gleichzutun. Stattdessen streckte er sich genüsslich, gewöhnte sich an den Gedanken, dass er nicht bei Seinfreda gelegen hatte, sondern bei einer anderen, und schien nicht weiter davon befremdet oder verstört.
    »Ich bin ihre Schwester«, sagte Gunnora knapp und hoffte, dass er, wenn auch verspätet, einsah, dass er zu weit gegangen war, als er um eine verheiratete Frau warb.
    Doch aus seinem Mund kam nichts, was ein schlechtes Gewissen vermuten ließ. »Nun, auch du bist schön … auf andere Weise, aber dennoch.«
    Sie hätte ihn treten wollen, wie er dalag. Und sich selbst noch mehr, weil ihr Körper nicht verkrampft und kalt war, sondern warm und entspannt.
    »Das ist das Einzige, was für dich zählt, nicht wahr?«, fuhr sie ihn an. »Dass die Frauen schön sind, jung und dir zu Diensten! Ob sie freiwillig kommen, spielt hingegen keine Rolle.«
    »Du bist doch freiwillig gekommen.«
    Sie wusste, es war klüger, sich zu beherrschen, aber sie konnte es nicht. »Das habe ich nur getan, um die Ehre meiner Schwester zu schützen«, schrie sie.
    Seine Betroffenheit schien ehrlich – versöhnen konnte sie sie dennoch nicht, wuchs sie doch auf Dummheit und Gedankenlosigkeit.
    »Ich habe nicht das Gefühl, dir Gewalt angetan zu haben«, murmelte er.
    Sie funkelte ihn an. »Ich habe keine blauen Flecken, keine Kratzer, keine Schmerzen, gewiss. Aber die Schwester der Gewalt heißt Demütigung.«
    Er erhob sich wendig und schüttelte den Anflug von Skrupeln ebenso ab wie die Müdigkeit. Ein wenig trotzig wirkte er nun.
    »Du bist jung, du lebst im Wald. Andere Frauen … nein, alle Frauen würden sich in deiner Lage vor meine Füße werfen und mich anflehen, sie mit nach Rouen zu nehmen.«
    Der Raum schien für sie beide zu eng zu werden. Sie wusste, dass sie es nicht mehr lange ertrug, vor ihm zu stehen, sondern alsbald

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