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Meisterin der Runen

Meisterin der Runen

Titel: Meisterin der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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fliehen würde. Was nur konnte sie ihm zuvor sagen, was ihn zutiefst in seiner stolzen Männlichkeit treffen, was ihm nicht nur zusetzen, sondern ihn quälen würde, was länger nachhallte als die Lust der Nacht?
    Ihr fiel nichts ein.
    »Was soll ich in Rouen?«, fragte sie und versuchte, größtmögliche Verachtung in ihre Stimme zu legen. Nicht nur ihm galt sie, sondern seiner ganzen Welt.
    Wieder wirkte er überrascht – und noch ein anderes Gefühl gesellte sich hinzu: Faszination. Ehe sie ergründete, ob diese ihrem Stolz und ihrer Unbestechlichkeit galt oder sie seine Miene lediglich falsch deutete, lief sie nach draußen.
    Er folgte ihr nicht.
    Der Wald war an diesem Morgen kein Freund. Das Gezwitscher der Vögel klang wie Gelächter, das Rauschen der Bäume wie stetiger Spott, das Knacken der Nadeln unter ihren Füßen wie Schelte.
    Du hast dich einem Mann hingegeben, den du hasst.
    Unendlich viele Runen müsste sie schnitzen, ehe sie die Erinnerung an seine Berührung ausgemerzt hatte, unendlich viel Blut von Tieren vergießen, um zu vergessen, dass sie ihm ihre Jungfräulichkeit geopfert hatte.
    Gunnora ging ziellos umher. Von Samos Haus aus wäre es ein Leichtes gewesen, ihre Hütte zu finden, aber unmöglich konnte sie an einen Ort zurückkehren, von dem sie gestern noch als Priesterin, als Zauberin, als Meisterin der Runen aufgebrochen war und den sie heute mit der Gegenwart eines Weibes beschmutzen würde, dessen Gedanken nicht um Götter kreisten, sondern um einen Mann.
    Ob er Samos Heim schon betreten hatte, ob er Seinfreda zur Rede stellen würde und ob er nun weiterhin blieb und auf die versprochene Nacht mit ihr wartete?
    Noch mehr schämte sie sich nun – nicht nur dafür, dass sie bei ihm gelegen hatte, sondern dass sie vorschnell geflohen war. Hastig lief sie zurück in die Richtung, in der Samos Haus lag. Richard ins Gesicht zu sehen war unerträglich – ihn in den nächsten Stunden zu beobachten hingegen unerlässlich. Erst wenn er davongeritten war, würde sie wieder befreiter atmen könnte.
    Noch ehe Gunnora die Hütte erreichte, vernahm sie ein Lachen – keine Täuschung des Waldes, wie sie zunächst vermutete, sondern den hellen, klaren Laut aus einer Kinderkehle. Es war Wevia, die lachte und sie so mit allem versöhnte. Ja, auch für die kleinen Schwestern war sie in der Nacht zu Richard gegangen, und wenn sie erst den kleinen, warmen, süß riechenden Körper umarmen könnte, so hatten dessen Berührungen gewiss keine Macht mehr über sie.
    Ungeduldig lief sie weiter und erspähte durch die Äste der Bäume hindurch eine Lichtung. Sie erkannte Wevia, doch sie war nicht allein. Sie führte Duvelina, die ihr offenbar beim Holzsammeln half, an der Hand, und vor ihr hockte ein Mann, der sie anlächelte und erklärte, wie wunderschön die Fibel sei, die sie trug. Es war Richards Fibel, und Wevias erneutes Lachen klang stolz. Duvelina wirkte zwar etwas ängstlicher und misstrauischer, aber auch für sie war der Fremde kein Feind.
    »Also«, fragte der Christ, »ich suche eine Frau mit langen schwarzen Haaren. Wisst ihr, wo sie lebt?«
    Gunnora versteckte sich hinter den Bäumen und dämpfte ihren Aufschrei mit der Hand. Sie durfte sich nicht verraten, sie durfte nicht verzweifeln.
    Fühle nicht, denke!
    Was ihr während der Nacht in Richards Armen nicht gelungen war, fiel ihr jetzt leichter.
    Der Christ war in der Nähe, er war immer noch auf der Suche nach ihr, aber er wusste nicht, dass Wevia und Duvelina ihre Schwestern waren. Er würde die beiden nicht töten, zumindest hoffte sie das, und widerstand darum dem Drang, sich zu zeigen und ihm ins Gesicht zu schreien: »Verschon sie, nimm mich.«
    Gewiss, nur weil er nicht wusste, wer die Mädchen waren, waren diese trotzdem in Gefahr und sie selbst auch. Was würden sie auf seine Frage antworten? Und was sollte sie tun? Hier stehen bleiben und warten oder davonrennen und Hilfe holen? Aber wer sollte diese Hilfe gewähren? Etwa Samo?
    Der Wille, Seinfreda zu schützen, einte sie, er war jedoch keine Waffe, um einem Schwert wie dem des Christen zu trotzen. Graf Richard hatte ein Schwert, aber er würde keinen Mann töten, nur weil sie ihn darum bat. Vielleicht war der Christ sogar einer seiner Männer. Nein, unmöglich, dass sie ihm die Wahrheit anvertrauen konnte! Nicht ganz so unmöglich schien es jedoch, auf seinen Schutz zu bauen.
    Wevia und Duvelina schwiegen noch, der Christ bedrängte sie hingegen weiter, beschrieb sie noch

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