Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meisterin der Runen

Meisterin der Runen

Titel: Meisterin der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
Vom Netzwerk:
erwachte. Einer, der nicht aus weiter Ferne zusah, wie sie sich mit ihm wälzte, sondern der sich in seinen Armen regelrecht verkroch, der die Schenkel freiwillig öffnete und ihn willkommen hieß und der den größten Hunger endlich gestillt wähnte – den nach Nähe. Und größere Nähe als die, die sie bei ihm fand, gab es nicht, nicht noch hitzigere, noch pochendere, noch glückseligere.
    Als es vorbei war, fühlte sie sich ermattet. Irgendwo vor dem Schuppen lauerten Entsetzen über sich selbst, Rachsucht, Verachtung und Scham, doch es war zu dunkel, auf dass diese Gefühle sie fanden. Gunnora löste sich nicht aus des Grafen Armen, sondern schlief in ihnen ein.
    Agnarr ritt, bis es stockdunkel war, und selbst dann wollte er seine Suche nicht aufgeben. Aber sein Pferd fürchtete die Finsternis und ließ sich weder mit schmeichelnden Worten noch wüsten Schlägen zum Weiterreiten bewegen.
    Agnarr fluchte. Mehr noch als alle unsichtbaren Geister, die erstarkten, sobald die Sonne unterging, fürchtete er die spöttische Stimme des Vaters, die ihn nun schon seit Stunden verfolgte.
    Mich hast du getötet, aber ein unbewaffnetes Weib bringst du nicht zur Strecke. Männern jagst du Furcht ein, aber Frauen halten dich fortwährend zum Narren. Berit, indem sie starb. Die schwarze Dänin, indem sie lebt.
    Er versuchte, der Stimme zu widersprechen: Was hätte ich machen sollen, der Grundherr war offenbar da, unmöglich, dass ich gewaltsam in die Hütte hätte eindringen können, und mittlerweile ist die Dänin längst wieder in den Wald geflohen, wo sich alle Spuren verlieren!
    Doch er wusste: All das waren nur Ausflüchte. Den Helden, von denen ihm seine Mutter als Kind erzählt hatte, stießen keine Missgeschicke zu. Sie überwanden jedes Hindernis, meisterten jede Herausforderung, und am Ende waren sie siegreich – über ihre Feinde, über ihre Frauen, aber vor allem über die eigenen Schwächen.
    Nun, seine Mutter erzählte schon lange keine Geschichten mehr, sondern spottete über ihn und würde es erst recht tun, sähe sie ihn in dieser Lage. In Gedanken erschlug er sie. Nicht zum ersten Mal malte er sich das aus, und nicht zum ersten Mal ließ ihn die Vorstellung grinsen. Aber das Blut, das nur im Geist fließt, wärmt nicht, und dass niemand anderer hier war, den er töten konnte, stimmte ihn am Ende nur noch ohnmächtiger, noch verzagter.
    Er hasste die Einsamkeit des Waldes. Er fürchtete sie.
    Als er die Konturen der Bäume nur noch vage ausmachte, ließ er sich unter dem Blätterdach einer Eiche nieder, nickte ein, fuhr wieder hoch. Er konnte nie lange schlafen, zumal im Traum aus der spöttischen Stimme des Vaters eine anklagende wurde.
    Du hast mich vergebens getötet … Und du verbringst diese Nacht vergebens im Wald …
    Ja, einmal mehr kam er nicht voran, sondern lief im Kreis: Er fühlte sich an diesem Tag genauso wie damals, als die Dänin ihm zum ersten Mal entwischt war, verlassen und gedemütigt.
    Agnarr presste die Lider zusammen, schlief nun doch tief und fest ein, und in dieser Nacht war sie es, nicht sein Vater, die ihn in den Träumen heimsuchte. Sie schmiegte sich an ihn, doch ihr Körper war hart, und obwohl er beherzt zupackte, konnte er sie nicht brechen, genauso wenig wie Berit.
    Wie wurde man so? Was genau beherrschten die beiden, was er nie gelernt hatte?
    Er war doch auch hart, er ertrug Nächte wie diese, er war doch fähig, Menschen zu töten, selbst Kinder … Warum saß ihm dennoch diese Angst im Nacken? Die Angst, verlacht zu werden, die Angst, ein Stümper zu sein?
    Er erwachte mit Kopfschmerzen, säuerlichem Geschmack im Mund und einem steifen Rücken. Der Hader, der ihn bis in die Träume begleitet hatte, hielt ihn umklammert wie der Morgenfrost. Er konnte ihn nicht abschütteln, indem er aufsprang, und selbst dann nicht, als er hektisch im Kreis schritt, bis seine Glieder wieder biegsam wurden. Erst als er sich umblickte und erkannte, wo er die ganze Nacht geschlafen hatte, löste sich ein Triumphschrei aus seiner Kehle. Augenblicklich wurde ihm warm.
    Eine Hütte stand da, aus Ästen errichtet, die nur notdürftig aneinandergebunden und deren Ritzen mit Moos und Flechtwerk gestopft worden waren. Wer immer sie erbaut hatte, konnte es nicht besser. Vielleicht eine Frau …
    Er wusste, dass es ratsamer gewesen wäre, sich anzuschleichen, konnte sich aber nicht bezähmen. Er zog sein Schwert, schritt auf die Hütte zu, riss den Bretterverschlag auf.
    Nichts.
    Die Hütte war leer.

Weitere Kostenlose Bücher