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Meisterin der Runen

Meisterin der Runen

Titel: Meisterin der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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genauer.
    »Sie ist sehr groß gewachsen, stark, hat blaue Augen …«
    »Ja, ich kenne diese Frau«, murmelte Wevia plötzlich.
    Gunnora stockte das Herz. Sag nichts, sag nichts, sag nichts.
    Wevia sagte etwas – jedoch das Richtige. »Sie wohnt im Wald.«
    »Das weiß ich, ich bin heute in ihrer Hütte gewesen.«
    Alles in Gunnora verkrampfte sich. Gerade noch hatte sie vermeint, die Hütte selbst zu entweihen, wenn sie sie mit noch feuchtem Schoß betrat. Nun wusste sie, dass sie nie wieder an diesem Ort schlafen konnte, den der Mörder ihrer Eltern betreten hatte.
    »Dann wird sie bei den Bäuerinnen sein, die an der Grenze des Waldes leben«, sagte Wevia. »Geht in diese Richtung, dann werdet Ihr sie gewiss bald finden!«
    Kluges, kluges Mädchen. In die Richtung, die Wevia dem Christen wies, war sie noch nie gegangen. Wevia lächelte arglos, schien erfreut, einem Fremden einen Gefallen getan zu haben, und der ließ sich davon bestechen, nickte gleichfalls freundlich und stieg auf sein Pferd.
    Gunnora verharrte im Schutz der Bäume. Eine Atempause war gewonnen, mehr nicht. Wenn der Christ sie auf keinem der Höfe fand, würde er wiederkehren. Und dann würde Wevia nicht mehr so gekonnt lügen und er sich nicht mehr damit begnügen, sie mit einem Lächeln zu befragen. Wenn Seinfreda ihm in die Hände fiel … wenn Hilde die Gelegenheit witterte, es der gottlosen Heidin heimzuzahlen …
    Gunnora unterdrückte ihr Verlangen, zu den Mädchen zu laufen, Wevia zu danken und Duvelina zu umarmen. Doch sie hatte keine Zeit zu verlieren. Sie rannte durch den Wald und achtete nicht auf dessen Spottlied. Was war ihr Stolz, gemessen am Leben der Schwestern!
    »Graf Richard!«
    Als sie Samos Hütte erreichte, war Richard noch da, aber nicht mehr allein. Er sprach mit einem fremden Mann, Krieger wie er, was sein großes Schwert und sein prächtiges Schlachtross bewiesen, und ihm an Statur und Aussehen sehr ähnlich. Vielleicht war er ein Verwandter, in jedem Fall ein Vertrauter, und er schien gekommen zu sein, um Richard zu holen. Eben nickte der ihm zu und bestieg sein Pferd.
    »Graf Richard!«
    Gunnora stellte sich vor das Pferd.
    »Du siehst ja aus, als wäre der Teufel hinter dir her, Mädchen«, spottete Richard gutmütig.
    Gunnora war nicht sicher, wer der Teufel war. Wenn sie sich recht erinnerte, war er ein böser Gott der Christen, gemein und hinterhältig wie die Riesen der nordischen Sagen. In jedem Fall war sie kein Mädchen, sondern eine Frau. Aber vielleicht hatte es sein Gutes, wenn er sie für kindlich hielt, für naiv und wankelmütig.
    Sie leckte sich über die Lippen und sank zu Boden.
    »Graf Richard, ich bitte dich inständig um Vergebung … Ich weiß nicht, was mich vorhin geritten hat, ganz gewiss wollte ich dich nicht kränken oder den Glauben erwecken, die Nacht mit dir hätte mir nichts bedeutet. Das tat sie, sogar sehr viel, nur wollte es mein Stolz nicht eingestehen. Stolz allein, so denke ich freilich, ist es nicht wert, die Stimme des Herzens zu leugnen. Wie gern würde ich noch einmal in deinen Armen liegen! Wie gern mit dir nach Rouen kommen!«
    Zu viel, dachte sie, während sie sprach, jedes Wort ist eines zu viel, zu lächerlich, zu übertrieben, zu dreist, um ernst genommen zu werden.
    Tatsächlich war ein leises Lachen die erste Antwort. Sie hob den Kopf, wollte ihre Taktik schon ändern, erkannte dann jedoch, dass der andere Mann lachte, nicht Richard. Der war ernst geblieben … und fasziniert.
    »Wie schaffst du es nur, Frauen so schnell zu erobern?«, rief Richards Begleiter. »Und wie ist es dir gelungen, inmitten dieser Einöde überhaupt eine solch schöne Frau zu finden?«
    Gunnora pochte das Herz bis zum Hals. Richard schien geschmeichelt – nicht nur von ihren Worten, sondern auch von denen des Mannes. Man genoss das Jagdglück wohl umso mehr, wenn man sich vor anderen der Beute rühmen konnte.
    Gunnora trat noch näher auf Richards Pferd zu. »Nimm mich mit nach Rouen, bitte! Hier im Wald verdunkeln die Bäume den Himmel. In ihrem Schatten würde meine Schönheit alsbald verwelken.«
    »Was jammerschade wäre«, neckte der andere.
    Richard schwieg lange, und Gunnora war es, als warte sie auf ihr Todesurteil. Doch sie wurde erlöst.
    »In der Tat«, sagte Richard nur.
    Er reichte ihr die Hand, gab ihr keine Zeit, ihre Habseligkeiten einzupacken, wohl, weil er ahnte, dass sie nicht viel besaß, was man hätte einpacken können, keine Zeit auch, sich von den Schwestern zu

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