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Meisterin der Runen

Meisterin der Runen

Titel: Meisterin der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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so viel kräftiger als die Seinfredas waren. Alles an ihr war ja kräftiger, auch robuster.
    Doch er klagte sie nicht empört des Schwindels an, sondern atmete rau, streichelte ihr über das Gesicht und merkte nicht, dass er nicht feine Haut befühlte, sondern von Wind und Witterung gegerbte.
    Wieder atmete er heftig – oder nein, nicht er, sondern sie. So sehr hatte sie gefürchtet, dass die Täuschung in diesem Augenblick aufflog, dass sie kurz nicht Herrin über ihren Körper war, und dieser verriet sie, folgte einer Sehnsucht, von der sie nicht wusste, dass sie in ihr schlummerte, dem Verlangen nach Gesellschaft, nach Berührung … nach Zärtlichkeit.
    Nie war sie in den letzten Jahren liebkost worden. Die kleinen Schwestern hatten sich an sie geklammert, aber nicht gestreichelt, zumindest nicht wie Richard, der seiner selbst so sicher und kundig darin war, Frauen zu streicheln. Gewiss hatte er es schon bei vielen getan. Gewiss waren diese dahingeschmolzen.
    Sie wollte das nicht, sie war doch hart wie Eis! Aber das Eis verwandelte sich in Tränen – Tränen der Scham, weil sie den eigenen Stolz mit Füßen trat, Tränen der Erleichterung, weil es nicht weh-, sondern guttat, ihn zu spüren, Tränen der Hoffnung, dass sie nicht ewig eine Einsame und von der Welt Verstoßene blieb. Die Tränen waren nicht kalt, sondern heiß.
    Jetzt spürte auch er sie, denn seine Hand zuckte zurück. »Warum weinst du?«
    Aus seiner Stimme sprach Bestürzung, offenbar war er es gewohnt, dass Frauen lächelten.
    Sie wischte die Tränen vom Gesicht. »Ich weiß es nicht«, sagte sie schnell, »aber als ich Dänisch sprach, musste ich an meine Eltern denken. Sie sind seit Langem tot.«
    Kurz folgte Schweigen – betroffeneres, als sie ihm zugetraut hätte, ehe er heiser bekundete: »Meine Eltern sind auch gestorben. Meine Mutter Sprota gottlob erst vor Kurzem, friedlich, im hohen Alter und in Gesellschaft ihrer beiden Söhne. Es war ein Tod, wie er sein soll. Mein Vater hingegen fiel einem Attentat zum Opfer; er wurde von Verrätern kaltherzig erstochen.«
    Seine Stimme bebte, Gunnora auch. Walrams Bild stieg vor ihr auf, wie er kopflos im Sand zusammenbrach, auch das der Mutter, blutüberströmt wie er. Nie hatte sie sich so einsam gefühlt wie in diesen Stunden, selbst an den kältesten Wintertagen im Wald nicht. War es möglich, dass der Graf, vermeintlich freundlich, lächelnd, neckisch, in Wahrheit aber selbstherrlich, fordernd und stolz, diese Verlorenheit kannte?
    Sie wollte nichts davon hören, wollte vor allem nicht noch mehr über ihn erfahren, was aus ihm einen Menschen machte. Als er den Atem einsog und fortfahren wollte, stürzte sie auf ihn zu und küsste ihn.
    Seine Lippen waren nicht hart, sein Atem schmeckte nicht faulig, seine Zunge war nicht rau. Er roch nach Wald, und das war ein Duft, den sie kannte und mochte.
    Und hätte er nicht in Samos Hütte Zuflucht gefunden, sondern in meiner, dachte sie plötzlich, hätte er nicht Seinfreda umworben, sondern mich – vielleicht würde ich ihn nicht hassen, sondern hätte ihn vielmehr willkommen geheißen, weil ich hungrig bin nach einem Körper wie seinem, groß, kräftig und beschützend.
    Ihr eigener Körper verriet sie erneut. Er schmiegte sich an seinen, erzitterte noch mehr, nicht vor Kälte, sondern von befremdender Erregung. Irgendetwas in ihr witterte in dem Grafen einen Verbündeten. Bei ihm konnte sie vergessen, was sie an Leid zu ertragen gehabt hatte und dass sie zu viele Nächte in ihrem Leben allein hatte schlafen müssen. Bei ihm war gnädige Dunkelheit zu finden, kein grelles Licht, das ihr Geschick beleuchtete und seine vielen Wunden und Narben offenbarte. Sie hasste ihn nicht weniger als zuvor, aber jener Hass war keine spitze Waffe, die sie selbst oder die ihn verletzte, sondern ein loderndes Feuer, das sich in ihrem Körper ausbreitete. Seine Hände folgten dessen Hitze, streiften ihr das Kleid ab, erforschten sie.
    Er keuchte, als sie auf den Umhang sanken, den er zuvor auf dem Boden ausgebreitet hatte. Längst waren die Flammen auf ihn übergegangen, sodass er nicht merkte, wie viel härter und sehniger ihr Körper als der Seinfredas war, wie viel größer und weicher ihre Brüste, wie viel runder ihre Hüften. Sein Verstand setzte aus, ihrer nicht ganz.
    Ich könnte ihn töten, dachte sie.
    Ich könnte ihn lieben, dachte sie.
    Und als Letztes dachte sie: Tod und Liebe sind vielleicht dasselbe.
    Ein Teil in ihr verstummte, ein anderer, fremder,

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