Meisterin der Runen
verabschieden, sich Seinfreda zu erklären – weil er offenbar zu gedankenlos war, um zu sehen, dass vor der Zukunft mit ihm eine Vergangenheit mit anderen stand und dass sie erst mühsam begreifen musste, was da mit ihr geschah, wie schnell aus einer Einsiedlerin die Konkubine des Grafen geworden war.
Schon nahm sie seine Hand, er zog sie hoch, und dann saß sie auf dem Pferd und spürte seinen Leib.
Sie waren fortgeritten, ehe sie einen Blick zurückwerfen konnte. Ob Seinfreda von der Luke aus beobachtet hatte, was draußen vor sich ging?
»Du zitterst ja«, murmelte Richard. Seine Stimme klang satt, aber auch freundlich.
Ihre Beherrschung bekam Sprünge. »Meine kleinen Schwestern … sie leben hier … ich muss doch für sie sorgen.«
»Wenn’s weiter nichts ist … Du kannst sie nach Rouen nachholen. Dort ist Platz genug. Ich schicke später meine Männer, auf dass sie sich darum kümmern.«
Gunnora schloss erleichtert die Augen.
Wenn’s weiter nichts ist …
Für ihn schien alles mühelos zu sein, vor allem Frauen zu erobern, sonst wäre er ihrem Sinneswandel mit mehr Zweifeln begegnet. Sie war dankbar dafür, weil sie auf diese Weise ihr Leben retten konnte und das der Schwestern, doch hätte noch ein Rest von Achtung für ihn in ihr geschlummert, wäre dieser nun endgültig geschwunden.
Alruna ging unruhig im Hof auf und ab. Zwei Tage war es her, dass sie Richard im Wald verloren hatten, zwei Tage, da ihre Sorgen wuchsen, sie nicht schlief und nicht aß. Am Ende wich die Angst der Erschöpfung.
Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr, warum muss ich immer aufs Neue um ihn bangen, während er selbst sich noch nie um mich geängstigt hat? Warum muss ich wieder einmal mit Gott verhandeln, gib ihn mir, dann verzichte ich gern auf seine Liebe, er muss mich nicht mögen, er muss nur leben?
Sie zweifelte nicht, dass Gott sich auf den Handel einlassen würde – umso mehr daran, warum man vor dem Allmächtigen zu buckeln hatte, obwohl dieser so unendlich grausam war. Wäre er ansonsten bereit, ihr Unglück als Gabe anzunehmen? Tränen waren doch nicht aus Gold und gebrochene Herzen keine kostbaren, mit Steinen verzierte Gefäße, um sie aufzufangen!
Als Arfast zu ihr kam, konnte sie nicht verbergen, wie zerschunden sich ihre Seele anfühlte.
»Wie viele Männer suchen ihn nun schon?«, rief sie verzweifelt.
»Zwei Dutzend.«
»Unmöglich, dass sie ihn nicht finden! Und wenn doch ein Feind …«
»Graf Richard ist stark, er kann sich wehren«, tröstete er sie. »Um ihn mache ich mir nicht so viele Sorgen wie um dich.«
Sie starrte ihn an, witterte an ihm die gleiche Müdigkeit, die ihre Lider beschwerte, aber auch aufrichtige Anteilnahme. Seine Gedanken schienen die letzten Stunden über so hartnäckig um sie gekreist zu sein wie die ihren um Richard.
»Mir geht es gut«, erklärte sie trotzig.
Seine Augen, wie immer klar wie eine Bergquelle, studierten sie. Sie verrieten seine Gefühle, erkannten aber auch die ihren. Er mochte arglos und freundlich sein, dumm war er nicht.
»Dir geht es nicht gut, zumindest nicht, solange du ihn liebst«, sagte er leise.
Manchmal hätte sie schwören können, dass ganz Rouen um ihre Gefühle wusste, doch es war etwas anderes, einen unausgesprochenen Verdacht in vermeintlich mitleidigen Mienen zu lesen, als diese schonungslosen Worte zu hören. Und noch bitterer klangen die in ihren Ohren, die er nun noch leise, aber entschlossen hinzufügte: »Er wird deine Gefühle nicht erwidern.«
Sie hielt seinem Blick stand. »Ich weiß«, erklärte sie. »Er kann keine Frau je lieben.«
Triumphierend klang sie nun, nicht länger trotzig, als wäre es leichter, auf etwas zu verzichten, wenn niemand sonst es haben konnte.
Doch Arfast schien zu ahnen, dass dies nur Trost für ihren verletzten Stolz war, nicht für ihr versehrtes Herz. Er seufzte. »Richard sieht dich nicht, du siehst mich nicht. Ich wiederum sehe euch beide und kann euch nicht helfen.«
Seine raue Stimme ließ Kummer und Betroffenheit erahnen, die sie nie an ihm vermutet hätte, so wenig, wie sie erwartet hatte, dass sich Dunkelheit auch über ein schlichtes Herz wie seines senken konnte. Bestürzt ging ihr auf, dass sie sich damals, als er blutüberströmt von der Schlacht wiedergekehrt war, nicht ängstlich gefragt hatte, wie schwer verletzt er gewesen war, nur, ob Richard lebte. Und ebenso wenig Gedanken hatte sie daran verschwendet, ob seine Verwundung geheilt war, wie tief die Narben wucherten
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