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Meisterin der Runen

Meisterin der Runen

Titel: Meisterin der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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es sich lohnt.
    »Wer ist das?«
    Ihre Stimme war kaum lauter als ein Hauch. Ein Wunder, dass jemand sie hörte, und beschämend, dass das ausgerechnet die Fremde war. Sie schien ihren Hass und ihren Neid zu wittern, denn ihr Blick wurde noch misstrauischer und abschätzender.
    »Gunnora. Mein Name ist Gunnora.«
    Sie sprach mit starkem dänischen Akzent, und der Klang ihrer Stimme war so scharf, als wären ihre Worte eine Waffe. Alruna war sich nicht sicher, ob sie ihr eine ähnlich tödliche entgegensetzen konnte. Eine vernünftige Stimme in ihr mahnte sie jedenfalls: Leg dich nicht mit ihr an!
    »Wer ist sie, und was will sie hier?«, richtete sie sich unwirsch an Raoul.
    Wie immer amüsierte sich Raoul über die amourösen Abenteuer seines Bruders, die ihm sein keifendes Weib Ermentrude niemals gestatten würde.
    »Ich bin mir nicht sicher«, sagte er mit kaum unterdrücktem Prusten, »die Schwägerin eines Waldhüters, vielleicht auch eine Bäuerin.«
    Alruna sog scharf den Atem ein. »Seit wann hat er’s nötig, sich im Dreck zu wälzen, wenn er auf feinstem Pelz liegen kann?«
    Gleiche Wut lag in ihren Worten wie zuvor, als sie Arfast vor den Kopf gestoßen hatte. Damals wie jetzt traf es den Falschen. Raoul lachte nur noch mehr, Richard hörte gar nicht zu, Gunnora hingegen war kein Wort entgangen, doch sie wirkte weder gekränkt noch verletzt. Nachdenklich sah sie Alruna an.
    »Wenn du mich für dreckig hältst, so gib mir etwas zu waschen. Und wenn dir meine Kleider zu armselig erscheinen, teile die deinen mit mir. Ich habe nun mal nichts weiter als das, was ich am Leib trage.«
    Sie sprach, als würde sie einer Magd befehlen, und in ihrem Blick stand etwas so Forderndes, dass Alruna sich plötzlich gewiss war: Wenn sie ihm noch länger standhalten müsste, würde sie hier vor aller Welt ihr Oberkleid ablegen und es der Fremden aus dem Wald reichen.
    Sie senkte ihre Augen, floh rasch ins Innere und fühlte sich von dem strengen Blick selbst dann noch verfolgt, als sie längst an ihrem Webstuhl saß.

 
F ÉCAMP
996
    »Bei allen Heiligen, kannst du mir nun endlich sagen, was du hier machst?«
    Agnes ließ laut ihren Atem entweichen. Gottlob war es nur Emma, die sie ertappt hatte. Trotz ihres strengen Blicks war diese keine, vor der sie sich fürchten musste, sondern die jüngste Tochter von Graf und Gräfin, etwa so alt wie Agnes und seit Kindesbeinen ihre beste Freundin, nahezu eine Schwester. Zumindest war sich Agnes, die lediglich einen älteren Bruder namens Osbern hatte, sicher, dass man sich nur einer Schwester so nahe und vertraut fühlen konnte, so häufig und so hitzig mit ihr stritt, und manchmal aber auch zutiefst befremdet von ihr war.
    Letzteres war sie auch an diesem Tag. Emma war der Schmerz um den Vater nicht anzusehen. Wie immer wirkte sie kühl, dreist, selbstbewusst – und neugierig.
    »Also, was führt dich ins Zimmer meiner Mutter? Und was tust du mit all diesen Schriftrollen?«
    Agnes stand kurz davor, von den Mönchen zu berichten und welch finstere Pläne diese hegten, doch ehe sie ein Wort hervorbrachte, rutschte eine der Rollen aus ihren Händen und fiel zu Boden. Prompt bückte sich Emma danach und vertiefte sich darin.
    »Was … was ist denn das?«
    Agnes folgte ihrem Blick und erkannte, dass es jene Schriftrolle war, die sie am meisten verwirrt hatte: Sie war nicht mit gewöhnlichen Buchstaben beschrieben, sondern mit fremden Zeichen, wie sie sie noch nie gesehen hatte. Unwillkürlich erschauderte sie.
    »Also«, fragte Emma ungeduldig, »was ist das?«
    »Ich … ich habe keine Ahnung«, stammelte Agnes.
    »Aber was machst du dann hier? Warum hast du all die Schriften meiner Mutter an dich gerafft? Weiß sie, dass du hier bist?«
    Mit jedem Wort klang Emma strenger, und Agnes errötete.
    »Ich … du … die Mönche …«
    Sie atmete tief durch. Bruder Remi und Bruder Ouen konnten jederzeit zurückkommen, und Gnade Gott, was passieren würde, fänden sie die Schriften mit den merkwürdigen Zeichen. Auch wenn sie kein einziges Wort lesen konnte, hielt sie für gewiss, dem Geheimnis der Gräfin einen Schritt nähergekommen zu sein.
    Hastig legte Agnes die Rollen zurück in die Truhe und riss Emma das Schriftstück aus der Hand.
    »Komm! Schnell weg von hier!«
    »Sag, hast du den Verstand verloren! Gib das wieder her!«
    Agnes dachte nicht daran, sondern lief hinaus. Obwohl sie Emma nicht abschütteln konnte – vor den Mönchen war sie vorerst in Sicherheit … und dieses

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