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Melanie - Inside Joke - Claußtrophobia

Melanie - Inside Joke - Claußtrophobia

Titel: Melanie - Inside Joke - Claußtrophobia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Sauerstoff.
    Endlich hatte er etwas Zeit, nach dem Gurt zu tasten und ihn über seinem stattlichen Bauch zu schließen. Inzwischen waren beide Stewardessen wieder auf die Beine gekommen. Die jüngere blutete an der Stirn, aber sie sah nicht aus, als würde sie deswegen umkippen.
    Im nächsten Augenblick allerdings begann die Hölle.
    Das Flugzeug sackte nach unten weg. Es war, als stürze es in das größte Luftloch, das die Luftfahrt je erlebt hatte. Ein Fahrstuhl im freien Fall war das, eine Volksfestattraktion, eine radikale Art der Schwerelosigkeit. Gegenstände lösten sich vom Boden und flogen durch die Luft. Die Arme des Professors hoben sich von den Lehnen, wurden nach oben gedrückt.
    Gleichzeitig schmierte die Maschine nach rechts ab.
    Jetzt wusste Gebhard Schlier, dass es böse ausgehen würde. Unvorstellbar böse.
    Amsterdam war gestrichen. Die Vorlesung war gestrichen. Alles, was länger als einige Sekunden in der Zukunft lag, war kurzfristig und endgültig von der Agenda genommen worden. Er saß in einem Flugzeug, das den Kurs geändert hatte. Amsterdam mit seinen Grachten war außerplanmäßig ausgetauscht worden – gegen den Tod mit seinen dunklen Tiefen.
    Schade , schoss es ihm durch den Kopf. Schade, dass das ausgerechnet jetzt passiert.
    Und dann: Aber danke, dass es nicht früher passiert ist.
    Um ihn herum war Panik. Alle Passagiere schienen wild durcheinanderzuschreien, doch das täuschte sicher. Bestimmt veranstalteten nur einige wenige diesen Heidenlärm. Bestimmt gab es noch andere wie ihn, die still auf ihren Sitzen saßen und die Zeit nutzten, um noch ein paar banale Gedanken zu denken.
    Er verstand nicht, was genau mit dem Flugzeug vor sich ging. Es stürzte, es kippte, es schwankte. Die Bewegungen waren von einer solchen Macht, dass die Sinne nicht mehr mitkamen. G-Kräfte zerrten an ihm wie ausgehungerte Geier, die ihn zerrupfen wollten, ehe er noch ganz tot war.
    Die kleinen Fenster der Maschine schienen in weiter Ferne auf und ab zu hüpfen. Schwer zu sagen, was hinter ihnen war. Schlier glaubte Wolken auszumachen. Und zwischen den Wolken ein Stück Grasland, greifbar nah. Es sah aus, als stürze die Welt auf sie zu und nicht umgekehrt.
    „Bitte bewahren Sie die Ruhe!“, brüllte jemand. Es war keine der Stewardessen. Diese hatten sich offenbar auf ihre Sitze geflüchtet und die Gurte geschlossen.
    Er sah zu der Blonden hinüber. „Hey!“, rief er. „Legen Sie ihr verflixtes Handy weg und machen Sie sich klein, wie ich.“ Schlier beugte sich vornüber, so gut es sein Bauchumfang und sein nicht mehr ganz taufrisches Rückgrat zuließen, verschränkte die Arme über dem Kopf und drückte sich gegen die Lehne des Vordermanns. Dann drehte er den Kopf, um zu sehen, ob die junge Frau seinem Beispiel folgte.
    Die aber reagierte nicht. Sie starrte ihn nur an. „Komisch“, murmelte sie, und er konnte sie in dem Lärm nur verstehen, weil er ihre Lippenbewegungen verfolgte. „Ganz komisch … Ich kann mit meinem Handy die Landeklappen bewegen, die ganze Zeit schon … Sehen Sie?“
    Literaturprofessor Dr. Gebhard Schlier wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. „Machen Sie das dumme Ding aus!“, schrie er. „Machen Sie es aus!“
    Es war zu spät. Hinter der Blonden, hinter der runden kleinen Glasscheibe, weit hinter den Landeklappen, die tatsächlich auf und ab fuhren, kam ein Baum in Sicht, ein großer, mächtiger Baum. Sie waren sehr nahe dran an der Erde, der grausamen Mutter Erde, die ihre Kinder mit ihrer alles erdrückenden Mutterliebe namens Schwerkraft an ihre Brust riss. Der Absturzwinkel des Flugzeugs schien in diesem Moment etwas flacher zu werden, die Motoren grölten und heulten, dann gab es einen Aufprall, einen machtvollen Schlag, mehr von unten als von vorne.
    Schlier hatte das Gefühl, zwischen der vorderen Sitzlehne und seinem eigenen Körpergewicht zermalmt zu werden. Seine Halswirbel wurden gestaucht, die Luft aus seinen Lungen gepresst, sein Magen wanderte irgendwohin, wo er ihn noch nie gehabt hatte, jedes einzelne Körperteil fühlte sich anders an, neu, ungewohnt. Schmerz wurde über ihm ausgeschüttet wie eine siedende Dusche, und immer mehr davon strömte nach, aus Dutzenden von Düsen, immer heißer und beißender.
    Etwas Großes zerbarst, die Maschine schlitterte noch ein Stück und kam dann zum Stehen. Sie lag auf ihrem linken Flügel. Oder was davon übrig geblieben war.
    Merkwürdig, dass man nicht sofort starb. Dass der Körper noch einige

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