Melanie - Inside Joke - Claußtrophobia
setzte zu einer Erwiderung an, die sie wieder verwarf, weil sie in ihrem Kopf zu lang und komplex wurde. Stattdessen bellte sie nur: „Gehen Sie nach Hause! Auf der Stelle!“
Gebhard Schlier wich einen Schritt zurück, als fürchte er, sie könne ihn anspringen. „Es tut mir leid, ich verstehe nicht …“
„Machen Sie sich vom Acker!“, schnaubte die Köchin.
„Wenn ich etwas Falsches gesagt habe …“
„Etwas Falscheres kann man gar nicht sagen. Und jetzt fahren Sie wieder dorthin zurück, wo Sie hergekommen sind, oder ich rufe Georg. Wenn der mit Ihnen fertig ist, das sage ich Ihnen, dann können Sie bequem im Kofferraum reisen.“
Mit erschrocken geweiteten Augen taumelte der Professor weitere Schritte zurück, strauchelte, fing sich wieder, wandte sich um und rannte zum Taxi. Hasan blickte mit hochgezogenen Schultern fragend zu Ekaterini herüber. Diese bedeutete ihm, den Fahrgast einzuladen und wieder nach Wolfach zurück zu chauffieren. Hasan grinste, nickte und komplimentierte den Mann mit freundlichem Nachdruck auf den Beifahrersitz.
Ekaterini blieb wie angewurzelt stehen, bis von dem Wagen nichts mehr zu sehen und nichts mehr zu hören war. Trotz allem fühlte sie sich gut. Und beschloss, Werner nichts von der merkwürdigen Episode zu erzählen. Der hatte im Augenblick genug Sorgen mit Traude Gunkel und mit den Spannungen zwischen dem psychologischen Bermuda-Dreieck Melanie, Madoka und Artur. Außerdem waren Rektors Liebling Angelika und Musterschülerin Jaqueline erst vor wenigen Tagen verletzt von den Gewächshäusern in der Nachbarschaft zurückgekehrt. Sie brauchten Zuwendung, und er würde sie ihnen geben, jeder von ihnen auf eine andere Art.
In solchen Zeiten war kein Platz für verwirrte ältere Herren, die mal eben die Wohnung des furchtbarsten Spuks Europas besichtigen wollten.
Oh nein.
3
Die Tage nach seinem Schwarzwaldtrip verbrachte Dr. Gebhard Schlier nicht direkt im Schockzustand, aber doch in stiller Bestürzung. Wenn ein Schock sich anfühlte, als stehe man bis zum Hals im Eiswasser, so fühlte sich sein Zustand an, als wate man knietief in Bowle. Halb unwirklich, halb berauschend war es. Man wurde das Gefühl nicht los, seinen Sinnen nicht mehr vertrauen zu können.
Das Schloss aus der Falkengrund-Serie existierte in der Realität, und nicht nur das Gebäude war da, auch die Studenten, die Köchin und … allem Anschein nach sogar der Spuk im letzten Zimmer auf der linken Seite. Zumindest schien die Köchin daran zu glauben. Was zwar noch längst nicht bedeutete, dass auch nur ein einziges der übernatürlichen Ereignisse aus Martin Clauß‘ eBook-Serie jemals wirklich stattgefunden hatte. Aber dass im Schwarzwald eine geheime Privatuniversität des Okkulten existierte, das schien gesichert. Und das alleine war schon eine Sensation.
Warum war er nicht zurückhaltender aufgetreten? Über Ekaterinis liebevollen, aber impulsiven Charakter hätte er als Leser der Serie informiert sein müssen. Eines stand fest: Er würde in absehbarer Zeit einen neuen Versuch unternehmen, Schloss Falkengrund zu betreten. Am besten würde er einen Brief vorausschicken, an Werner Hotten adressiert, in dem er alles erklären, sich entschuldigen und glaubwürdig versichern konnte, der Tür zum Zimmer des Barons von Adlerbrunn nicht zu nahe zu kommen.
Ehe das neue Semester begann, trat Schlier noch eine Kurzreise nach Berlin an. Dort traf er eine Kollegin, mit der zusammen er vor fünfzehn Jahren ein Buch geschrieben hatte. Sie unternahmen ausgedehnte Spaziergänge in den innerstädtischen Grüngebieten, umrundeten die Krumme Lanke und den Schlachtensee und redeten dabei – wie sollte es anders sein – über Phantastische Literatur. Ständig lag dem Professor Falkengrund auf der Zunge, doch dort blieb es bis zu seiner Abreise nach zwei Tagen. Gegen Ende hin wurde ihm bewusst, dass er einen zerstreuten, abwesenden Eindruck machen musste. Vermutlich dachte seine Gastgeberin, er werde allmählich senil.
Alleine stand er nun auf dem Flughafen Berlin Tegel, eine Ausgabe der Zeitschrift Literaturen in der Hand, und kam sich vor wie ein Protagonist in einer Erzählung von Kafka. Sein Leben lang beschäftigte er sich schon mit der Phantastik als Literaturgattung, und auf einmal – zum ersten Mal – war etwas in sein Leben getreten, das ihm entfernt phantastisch anmutete. Er hatte weder ein Gespenst gesehen, noch war er von einem Vampir gebissen worden – aber etwas hatte sich verschoben. Beim
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