Melmoth der Wanderer
Wirtschafterin, obschon katholisch, fragte, ob Seine Gnaden nicht geistlichen Beistand wünschten, um nach Gebühr der Rechte seiner Kirche (sie wollte sagen »Riten«) teilhaftig zu werden. Der Blick des Sterbenden belebte sich, begann beinahe zu funkeln, so verdroß ihn dieser Vorschlag.
»Für was, nur daß der Pfaffe auf meine Kosten eine neue Schärpe, ein neues Hufband zum Begräbnis trage? Sprich die Gebete selber, du altes ... das erspart das Geld mir für den Pfaffen.« So ergriff denn die Wirtschafterin das Andachtsbuch, legte es aber bald wieder aus der Hand und führte zu ihrer Entschuldigung an, ihr stünden die Augen voll Wasser seit dem Tage, da Seine Gnaden bettlägerig geworden sei.
»Das ist der Tropfen, den du seither in einem fort über den Durst getrunken hast«, sagte der Kranke mit einem boshaften Lächeln, welches sich in der Verkrampfung des nahenden Todes zu einem gräßlichen Grinsen verstellte. – »Übrigens – ist denn da gar keine unter euch Heulweibern, die ein Gebet für mich lesen könnte, um mir die Hölle vom Leib zu halten?«
Auf diese so inständig geäußerte Bitte hin erbot sich eines der Weiber, die Gebete zu sprechen. Doch gerade über sie ließ sich das gleiche sagen wie über jenen »aufs Beste dafür unfähigen Stadtwächter« zu Dogberrys Zeiten, was nichts anderes bedeutet, als daß ihr »die Gabe des Lesens und Schreibens von der Natur verliehen war«. Denn nie im Leben war sie zur Schule gegangen, noch hatte sie jemals ein protestantisches Gebetbuch aufgeschlagen. Doch störte dieser Umstand sie nur wenig, und sie begann, nicht taktvoll aber laut, beinahe das ganze »Dankgebet für Wöchnerinnen« herzuleiern, welches sie, da es in unsern Andachtsbüchern gleich nach den »Gebeten am offenen Grabe« kommt, wohl in Zusammenhang mit dem Zustande unseres Kranken brachte.
Sie las mit großem, feierlichem Ernste – es war nur jammerschade, daß die Ohrenweide zwei Unterbrechungen erfuhr. Die eine kam vom alten Melmoth selbst, der, bald nachdem das Beten angefangen, sich zu der alten Wirtschafterin beugte und ihr in schandbar lautem Tone auftrug: »Geh jetzt hinunter, schieb im Herd die Nigger (will sagen angekohlten Scheite) mehr zusammen, und schließe die Tür ab, doch so, daß ich es höre! Ich habe vorher keinen Kopf für andre Sachen.« Die zweite Störung verursachte der Eintritt Johns, der, als er sich ins Zimmer stahl und hören mußte, was das Weib in seiner Dummheit da von sich gab, sich neben ihr lautlos auf die Knie ließ, nach dem Gebetbuch griff, ihr es abnahm und die rechte Stelle aufschlug, wonach er in gedämpftem Ton aus dem »Gebet am Sterbelager« vorlas, das, nach dem Anglikanischen Ritual, dem Sterbenden zum Trost im Tod gereicht.
»Das ist ja die Stimme von John«, sagte der Hinscheidende plötzlich. Und das wenige an Güte, welches er dem armen Burschen im Leben erwiesen hatte, ging ihm unversehens zu Herzen und rührte es an. Er sah nun sich selbst nicht minder umgeben von herzlosem, raffgierigem Gesinde. Und so schwach, wie seine Bindung an diesen Verwandten gewesen, den er zeitlebens als einen Fremden behandelt hatte, so schwach dämmerte dem Sterbenden in dieser Stunde auf, daß dies ja doch kein Fremder sei, und so faßte er nach ihm wie der Ertrinkende nach dem Strohhalm.
Und John, tief bewegt sowohl durch die Umstände, in welchen er nun diesen, inmitten all seiner Wohlhabenheit so armen Mann, vor sich sah, als auch durch den feierlichen Ernst, mit welchem dem Sterbenden dessen letzte Stunde tröstlicher gemacht wurde, las weiter. Doch schon nach kurzer Zeit belegte sich des Lesenden Stimme, was von dem Schrecken herrührte, welchen ihm der zunehmend heftige Schluckauf des Dahinscheidenden einflößte, der, ungeachtet dieser neuen Kalamität, dieselbe von Zeit zu Zeit zu bemeistern suchte, um seine Wirtschafterin zu fragen, ob denn die Nigger nun wirklich zusammengeschoben wären. Als empfindsamer junger Mann, der er nun einmal war, erhob John sich schließlich unter einigen Anzeichen von Erregung.
»Wie – auch du willst mich verlassen?« fragte der alte Melmoth und versuchte, sich in seinem Bett aufzurichten.
»Nein, Herr Oheim«, antwortete John. Und da er den veränderten Blick des Sterbenden gewahrte, fügte er hinzu: »Ich dachte nur, Sie hätten eine Erfrischung, eine kleine Stärkung nötig.«
»Ja, ich hätte, ich hätte, aber wem kann ich denn so weit vertrauen? Die da (und sein verstörter Blick glitt über die
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