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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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erwidert hatte, erkundigte er sich nach dem Befinden seines Oheims. »Schlechter kann’s ihm schon nicht mehr gehen« – »Oh, schon viel besser, Dank der Nachfrage, Euer Gnaden«, erscholl es in so rascher und mißtönend-widersprüchlicher Folge, daß der Frager sich nur hilflos von Sprecher zu Sprecher wenden konnte, nicht wissend, was er nun davon zu halten habe.
    »Man sagt, Seine Gnaden hätten eine schreckliche Erscheinung gehabt«, brüllte ein himmellanger Bursche um Haupteshöhe über John hinweg, nachdem er auf ihn zugekommen war, als wollte er dem Frager etwas ins Ohr flüstern.
    »Aber seither hat Seine Gnaden sich einen Schnupfen geholt«, erwiderte einer, welcher sich in aller Gemütsruhe den von John ausgeschlagenen Whisky einverleibte. Bei diesen Worten nahm die in ihrer Kaminecke hockende Sibylle langsam die Pfeife aus dem Mund und wandte sich hierauf den Versammelten zu.
    »Es sitzt nicht hier «, sprach sie, indem sie ihren dürren Zeigefinger gegen die Stirnrunzeln preßte. »Nicht hier – und auch nicht hier .« Und sie berührte mit der Zeigehand die Häupter der Umsitzenden, welche sämtlich den Kopf neigten, als empfingen sie einen Segen, um gleich darauf aufs neue dem Geist aus der Flasche zuzusprechen, wie um solche Segnung zu bekräftigen. – »Es liegt nur hier – es sitzt ihm auf dem Herzen. «
    In diesem Moment, da John eine unwillkürliche Scheu empfand, und all die anderen in erschrockener Stille verharrten, durchgellte ein ungewohnter Klang das Haus, der die Gesellschaft auf die Beine brachte, als wäre eine Muskete mitten unter ihnen losgegangen: der ungewohnte Klang kam von des alten Melmoth Glocke! Das scheuchte sein Gesinde, so klein an Zahl und stets in seiner Nähe, dermaßen auf, als hätt’ die Totenglocke er schon angeschlagen und läutete zum eigenen Begräbnis.
    Das Geläut übte augenblicklich seine volle Wirkung: die Wirtschafterin stürzte ins Krankenzimmer, auf dem Fuße gefolgt von einer Anzahl Weiber (die irischen praeficae), sämtlich schon bereit, dem Sterbenden beizustehen, oder, wenn möglich, den Toten zu beklagen. Alle diese Vetteln umringten nun das Lager, vier vollführten ein Wehgeschrei, während die fünfte Seiner Gnaden die Füße befühlte, immer »weiter und weiter hinauf«, und »alles war schon so kalt wie ein Stein!«
    Der alte Melmoth entzog seine Füße dem Zugriff der Vettel – zählte mit scharfem Blick (scharf auch noch in der Umnachtung des nahenden Todes) die um sein Bett Versammelten –, stützte sich auf seinen dürren Ellbogen, stieß die Wirtschafterin von sich (welche bemüht war, dem Kranken die durch sein Sträuben seitlich verrutschte Nachtmütze zurechtzurücken, die seinen abgezehrten, vom Tode gezeichneten Zügen das Aussehen eines grotesken Wüterichs verlieh), und brüllte in Tönen, welche die ganze Gesellschaft zusammenfahren ließen: »Was zum Satan habt ihr hier alle zu schaffen? Was führt euch her?!« Solches Wort scheuchte die Schar augenblicks auseinander, doch fand sie sich gleich darauf wieder zusammen und verständigte sich unter Gewisper und häufigem Sichbekreuzen, indem man einander zuraunte: »Satan hat er gesagt – Herre Jesus, steh uns bei, das erste Wort in seinem Mund ist der Satan!«
    »Ja wohl«, schrie der Todkranke, »und der Satan ist es auch, der mir als erstes unter die Augen kommt!«
    »Wo? – Wo ist er?« kreischte die entsetzte Wirtschafterin und klammerte sich in ihrem Schrecken nur um so fester an den Sterbenden, wobei sie sich halb unter dessen Deckbett verkroch, welches sie ohne Rücksicht auf den sich gegen solche Entblößung Sträubenden von dessen Gliedern riß.
    »Da – und da und da«, wiederholte dieser (sich noch immer um die Decke balgend) und deutete auf die durcheinandergeratenen und verängstigten Weiber, die nun entgeistert herumstanden und unversehens hören mußten, als eben jene bösen Geister bezeichnet zu werden, die zu bannen sie gekommen waren.
    »Aber, aber! Gott bewahre Euer Gnaden den Verstand«, sagte die Wirtschafterin, nachdem sie sich von ihrem Schrecken erholt hatte, in besänftigendem Ton. »Euer Gnaden kennen sie doch gewiß alle mit Namen! Heißt diese hier denn nicht so , und die andere so , und jene da drüben so « – und sie zeigte dabei der Reihe nach auf jede der in dem Räume Anwesenden, nannte deren Namen, welche wir hier nicht im einzelnen aufführen wollen, um dem nichtirischen Leser die Marter des Aussprechens zu ersparen (welche Wohltat wir

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