Melmoth der Wanderer
jene andre ...«
Damit verstummte er und schien, obschon an der äußersten Grenze seiner finsteren und ungewissen Reise angelangt, noch einen letzten, bitteren Blick der Rückschau auf die fernhin entschwindenden Gestade zu werfen, daran er durch die Nebelschleier der Erinnerung hindurch eine Gestalt ihm Lebewohl winken sah. Dann erhob er sich. »Laßt mich, wenn möglich, eine Stunde ruhen. Ja, ruhen«, sagte er im Angesicht des stummen Staunens seiner Tischgenossen, »auch ich bedarf des Schlafs! Mein Dasein ist ja immer noch das Dasein eines Menschen!« Dabei geisterte ein letztes grausiges Grinsen des Hohnes über seine Züge. Wie vielen Opfern hatte dies Grinsen nicht schon das Blut in den Adern stocken gemacht! – Melmoth und Moncada verließen das Zimmer. Der Wanderer aber, indem er sich in seinen Lehnstuhl zurückfallen ließ, versank in einen abgrundtiefen Schlaf. Jawohl, er schlief, – was aber sah er in seinem letzten, irdischen Schlummer?
Des Wanderers Traum
Er sah sich im Traume auf einer Felszacke über einem Abgrund stehen, dessen Tiefe kein Auge zu ermessen vermocht hätte, wären da nicht die fürchterlichen Wogen eines Glut-Ozeans gewesen, der da unten peitschte und lohte und heulend erbrauste, seine feurige Gischt bis weit herauf verspritzend, als wollte er den also Träumenden mit so schwefligem Funkenregen zum Verdorren bringen. Der ganze, unermeßliche, glühende Ozean aber, er lebte! Jede Glutwoge trug eine gepeinigte Seele, und all die Seelen, sie trieben gleich einem Schiffswrack oder einer fauligen Leiche, die auf den irdischen Meeren treibt, dahin und stießen Entsetzensschreie aus, sobald sie mit aller Gewalt solcher Weißglut gegen den demantenen Felsabsturz geschleudert wurden, – in die Tiefe sanken, – und aufs neue emportauchten, um in so fürchterlicher Probe aufs neue unterzugehen! – Jede dieser Glutwogen war dergestalt erfüllt von unsterblichem, in aller Todesqual sich windendem Dasein, – jede war befrachtet mit einer Seele, welche sich unter der Folter ihrer Hoffnung emporkämpfte, verzweiflungsvoll gegen den felsigen Absturz prallte, mit ihrem Schrei aus ewigem Entsetzen das heulende Brausen des Glutmeeres mehrte und versank, um aber und aber emporzutauchen – und aber und aber vergeblich!
Urplötzlich fühlte der Wanderer sich in die halbe Tiefe jenes Abgrunds hinabgeschleudert. Jetzt hielt er sich strauchelnden Fußes auf einem Felsvorsprung auf halbem Wege! Er blickte empor, allein, in den oberen Regionen (denn kein Himmel war da) herrschte nur tiefste, undurchdringliche Schwärze. Und dennoch, schwärzer denn solche Schwärze war da etwas zu erkennen, das gleich einem riesenhaften, ausgestreckten Arm den Wanderer wie zur eigenen Kurzweil an dem Rand des infernalischen Abgrunds in Schwebe hielt, dieweil ein zweiter Arm, welcher in seiner Bewegung mit jenem ersten in grauenvoller Entsprechung zu stehen schien, so als gehörten beide zu einem so unermeßlichen, so fürchterlichen Wesen, daß dessen Gestalt sogar die Einbildungskraft eines Traumes überstieg, – dieweil solcher zweite Arm nach oben wies, wo am höchsten Rande des Abgrunds ein Zifferblatt in dem fluktuierenden Feuerschein jenes Ozeans in fürchterlicher Klarheit zu sehen war. Und der Wanderer sah den rätselhaften Schicksalszeiger wandern, – sah ihn die festgesetzte Marke der hundertfünfzig Jahre beinah schon erreichen – (denn dies mystische Zifferblatt, es trug ja keine Stundenteilung, sondern wies die Jahrhunderte) – und brüllte gellend auf in seinem Traum, und stieß sich aus jenem übermenschlichen Antrieb, wie wir ihn im Schlafe oft empfinden, von dem ihn festhaltenden Arm ab, um jenen fürchterlichen Zeiger anzuhalten.
Über solcher Anstrengung stürzte der Wanderer in die Tiefe und griff in seinem Sturz verzweifelt nach etwas, das ihn vor solchem Fall bewahren mochte. Doch schien sein Sturz ein lotrechter zu sein – nichts war da, ihn zu retten, nichts! – Der Fels, er war so glatt wie Eis, – und unten, tief an seinem Fuß, brach sich die Feuerflut des Ozeans! Jetzt kam eine kleine Schar Gestalten in des Stürzenden Blickfeld, welche, anders als er, in beständigem Aufsteigen begriffen war. An jeder suchte er sich festzuklammern – erst war es Stanton – dann Walberg – Isidora – Moncada, – und alle, alle stiegen weiter auf, – an jede schien er sich in seinem Schlummer zu klammern, klammern, seinen Sturz zu hemmen, – und alle stiegen aus dem Schlund empor! An allen
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